«Zwangskammer» und «Spaltpilz»: Streit um neue Pflegekammer
Die geplante Pflegekammer als Sprachrohr der Branche ist nicht nur bei den Pflegekräften heftig umstritten. Auch im Landtag sind sich die Parteien uneins, was sie vom neuen Gesetzentwurf der grün-schwarzen Regierung halten sollen. Gesundheitsminister Manne Lucha verteidigte die Vertretung gegen die Kritik von Pflegern, Opposition und Gewerkschaft. Es werde Zeit, dass die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen über ihren eigenen Berufsstand mitentscheide und in Gremien mit am Tisch sitze, sagte er am Donnerstag im Landtag bei der ersten Beratung des Gesetzentwurfs. Bislang empfange sie nur die Regeln, die andere machten.
Die Pflegekammer werte den Pflegeberuf auf und helfe dabei, den Bedarf an Fachkräften zu sichern. «Aus meiner Sicht ist nur eine Kammer geeignet, eine wirksam in Selbstverwaltung organisierte Vertretung der Pflegefachberufe zu schaffen», sagte der Grünen-Politiker.
Das Land verfolgt den Plan für eine Pflegekammer bereits seit 2016. Eine Enquête-Kommission des Landtags hatte dies empfohlen, um die Pflege zu stärken. Die Pflegekräfte sollten auf Augenhöhe mit anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen wie Ärzten und Apothekern gestellt werden. Bislang waren sie in Berufsverbänden und Gewerkschaften eher schlecht organisiert. An einer Befragung zur Einrichtung einer Pflegekammer hatten 2018 knapp 2700 Pflegekräfte und Auszubildende teilgenommen. Damals waren zwar 68 Prozent für die Kammer, es hatte aber nur ein Bruchteil der 110.000 Kranken- und Altenpflegekräfte im Land teilgenommen. Erste Pläne Luchas hatte die Pandemie gebremst.
Zweifel an einer Zustimmung des Landtags zur Pflegekammer gibt es nicht. Ab Mai soll sie ein Gründungsausschuss bis Ende 2024 erschaffen, der die Arbeit dann an eine Vertreterversammlung abgibt. Diese wird von den Mitgliedern gewählt. Die Mitgliedschaft soll für alle Pflegefachkräfte verpflichtend sein - wie es bei Kammern üblich ist. Wer Hilfskraft, Azubi oder im Ruhestand ist, soll freiwillig Mitglied werden können. Der Beitrag soll sozial gestaffelt sein und im Schnitt 55 Euro pro Jahr kosten.
Die Kammer soll für den Pflegeberuf selbst Standards setzen, über nötige Weiterbildung für ihre Mitglieder entscheiden und im politischen Ringen zentrales Sprachrohr der Pflegenden sein. Dem Gründungsausschuss müssen von den Arbeitgebern alle potenziellen Pflichtmitglieder gemeldet werden. Zwar ist Widerspruch möglich, aber es dürfen nicht mehr als 40 Prozent dagegen sein. Werde das Errichtungsquorum von 60 Prozent der künftigen Pflichtmitglieder nicht erreicht, werde es keine Pflegekammer geben, versprach Lucha.
Alle drei Oppositionsparteien sprachen sich am Mittwoch gegen das Vorgehen aus. AfD-Gesundheitsexperte Bernhard Eisenhut sprach von einer «Zwangskammer», auch die FDP kritisierte das Vorhaben. «Gerade in diesen Zeiten des extremen Fachkräftemangels darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Politik eine Kammer mit Zwangsmitgliedschaft durchdrückt», sagte deren gesundheitspolitische Sprecher Jochen Haußmann. Das Verfahren sei «in höchstem Maße undemokratisch», weil Pflegekräfte aktiv widersprechen müssten. Florian Wahl von der SPD warf Lucha vor, einen «Spaltpilz mitten rein in die Belegschaft der Pflege» zu werfen.
Pflegekammern sind nach Rheinland-Pfalz auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein eingerichtet worden. Allerdings sind sie dort bereits wieder abgeschafft worden, weil der Unmut über Pflichtmitgliedschaft, Zwangsbeiträge und zum Teil auch Management der Kammern in beiden Bundesländern zu groß war. Neben Rheinland-Pfalz gibt es derzeit noch eine Pflegekammer in Nordrhein-Westfalen.
Auch die Gewerkschaft Verdi ist weiter strikt gegen die Pläne für eine Pflegekammer. «Kammern sind Institutionen für freie Berufe. Pflegefachpersonen sind aber zu 95 Prozent abhängig beschäftigt. Sie haben Arbeitgeber, darunter auch Pflegedirektionen, die ihnen genau vorschreiben können, wie sie zu arbeiten haben», sagte Irene Gölz von Verdi. Eine zusätzliche Institution, die ihnen weitere Vorschriften mache und möglicherweise Sanktionen auferlege, bräuchten sie nicht.
Links
© dpa-infocom, dpa:230420-99-388199/3