Scorpions: Nicht mehr in Russland - Friedenskonzert in Kiew?
Das Ende vom Lied kam mit brutaler Konsequenz. Dreißig Jahre lang schallte die Scorpions-Ballade «Wind Of Change» durch Konzerthallen auch in Moskau, Sibirien und St. Petersburg. Dann marschierte Russland am 24. Februar 2022 in die Ukraine ein. Die musikgewordene Friedensbotschaft war vom Winde verweht. Die Scorpions sagten geplante Konzerte in Russland ab und schrieben das Lied um.
«Ich sehe nicht, dass wir noch einmal in Russland auftreten werden», sagt Scorpions-Sänger Klaus Meine im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. «Keinesfalls in absehbarer Zeit. Das ist traurig. Aber man muss aus der Realität seine Schlüsse ziehen.»
Für Meine war «Wind Of Change» auch ein Friedensversprechen zwischen Ost und West. «Mit dem schrecklichen Krieg ist es zerbrochen.» Seine Gedanken sind bei der Ukraine. «Wenn der Krieg zu Ende ist, werden wir hoffentlich auf dem Maidan in Kiew ein Friedenskonzert geben.»
Hymne der Zeitenwende von 1989
«Wind Of Change» drückt die Freiheitssehnsucht vor fast 35 Jahren in Ost und West aus. Für viele ist der fünf Minuten und zehn Sekunden lange Song die Hymne der Zeitenwende von 1989. Einige Zeilen hat Meine verändert. «Nach Beginn dieses durch nichts zu rechtfertigenden Krieges haben wir uns gefragt, ob wir das Lied noch spielen können. Jetzt zeigt es unsere Solidarität zur Ukraine, statt wie früher Russland zu romantisieren.» Statt «I follow the Moskva down to Gorky Park» heißt es nun «Now listen to my heart, it says Ukrainia».
Meine war bei der Bundeswehr, 18 Monate lang bei Panzergrenadieren, 1968/69 in Schwanewede. «Ich bereue nicht, das durchgezogen zu haben, es war der Split zwischen meiner Lehre zum Dekorateur und dem Leben als Musiker. Viele, die sich über die Bundeswehr lustig gemacht haben, schauen jetzt vielleicht anders darauf.»
Hat er Angst vor einem Atomkrieg? Meine zögert. «Wir haben alle Angst, dass der Krieg eskaliert», sagt er mit ernstem Unterton. «Das darf uns aber nicht verleiten, in der Unterstützung der Ukraine nachzulassen. Denn was dann kommt, könnte schlimmer sein als das, was jetzt ist.»
Mit der neuen Platte «Rock Believer» gehen die Scorpions vom 8. April an auf Tour und kommen über Südamerika und Frankreich im Mai nach Deutschland. «Wir freuen uns auf die deutschen Fans und werden bestens warmgespielt eintreffen», sagt Meine. Dass die Platte so bei Fans und Kritikern einschlägt, sei nicht garantiert gewesen. «Wir konnten uns aber wegen der Pandemie Zeit lassen. Viele sind wohl überrascht, was die alten Herren da zusammengebraut haben.»
Für Musikexperte Frank Laufenberg ist der Erfolg der Band auch im Fleiß begründet. «Als ich die Scorpions zum ersten Mal traf, kamen sie mit einem alten Bandbus und hatten ein Album, das zwar nicht schlecht war, aber man brach auch nicht zusammen», erzählt der Moderator. «Aber sie waren eine Einheit. Menschen, die ein Ziel hatten - und das fehlt Künstlern, die schnell aufgeben.» Die Band sei eigentlich immer falsch eingeschätzt worden. «Das sind gute Musiker, die immer ein Ziel vor Augen hatten. Das haben sie mit unglaublicher Vehemenz verfolgt. Sie haben nie aufgehört, an sich zu glauben.»
Klaus Meine wird 75
Am 25. Mai wird Meine 75 Jahre alt. Wie schaut er darauf? «Man weiß natürlich, dass die Strecke vor einem kürzer ist als der Weg hinter einem. Aber ich freue mich, dass ich diese 'long and winding road' noch etwas weitergehen kann», so Meine. Den Tag lasse er auf sich zukommen. «Kurz vorher treten wir in Berlin auf. Da lebt mein Sohn, vielleicht gibt es ein Dinner mit Familie, Freunden und Band.»
Von Hannover nach überall: Wie konnte diese Karriere gelingen? Marcus S. Kleiner, Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der SRH Berlin University of Applied Sciences, meint: «Sie haben als Nameless sehr deutsch begonnen und waren als Krautrockband nichts wirklich Besonderes.» Als sie sich in Scorpions wandelten, hätten die Musiker «das Deutschsein abgelegt» und seien international geworden.
«Dies zu einem Moment, in dem Hardrock und Heavy Metal noch recht neu waren und zur international erfolgreichen Musik geworden sind», sagt der Buchautor («Bruce Springsteen»). «Es war zur richtigen Zeit.»
Ähnlich sieht es Professor Udo Dahmen von der Popakademie Mannheim. «Klaus Meine und Rudolf Schenker waren mit eisernem Willen überzeugt, dass die Welt ihren Hardrock hören möchte. Sie hatten den klaren Kompass, wir wollen das schaffen - und das ist ihnen gelungen.»
Für das Umschreiben von «Wind Of Change» hat Dahmen Verständnis. «Jeder Song hat seine Bedingtheiten in der Zeit, in der er entsteht. Der Ukraine-Krieg macht alles, wofür das Lied steht, zunichte.»
Welche Bilanz zieht Meine? Wäre der junge Klaus zufrieden mit dem älteren? «Ich denke, ja», sagt der Musiker nachdenklich. «Der junge Klaus hat davon geträumt, als Sänger durchs Leben zu gehen und mit seinen Freunden Konzerte auf der ganzen Welt zu spielen. Ich könnte mir vorstellen, dass er über den älteren Klaus sehr glücklich wäre.»
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