Hans-Ulrich Rülke (r) und der Anwalt Thomas Würtenberger (l) stehen im Gerichtssaal., © Bernd Weißbrod/dpa
Hans-Ulrich Rülke (r) und der Anwalt Thomas Würtenberger (l) stehen im Gerichtssaal. Bernd Weißbrod/dpa, dpa
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«Prinzip Eichhörnchen»? Richter streiten um Haushalt

24.04.2023

Lässt sich die Pandemie im Sommer 2021 noch als «Katastrophe» bezeichnen? Kann eine Fraktion gleichzeitig für und gegen den Landtag klagen? Und sind 941 Millionen Euro nun viel oder wenig Geld? Mit diesen Fragen muss sich der Verfassungsgerichtshof des Landes auseinandersetzen. Vor allem mit der Frage: Wie viele Schulden durfte die von Ministerpräsident Winfried Kretschmann geführte grün-schwarze Koalition während der Pandemie machen?

Fakt ist: Im Juli 2021 beschloss der Landtag den dritten Nachtragshaushalt für jenes Jahr. Darin sicherte sich die Koalition sogenannte Kreditermächtigungen in Höhe von mehr als 941 Millionen Euro, um sich für die Risiken der Corona-Krise zu wappnen. Der Gesetzgeber machte dabei erneut von der Ausnahmeklausel der Schuldenbremse Gebrauch, indem er die Pandemie zur Naturkatastrophe erklärte. Am Ende wurde das ganze Geld nicht abgerufen, also de facto wurden keine Schulden gemacht. Aus Sicht der FDP verstieß die Koalition damit aber trotzdem gegen die Schuldenbremse - seit Montag wird der Fall vor dem Verfassungsgericht verhandelt.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke wirft der Koalition das «Prinzip Eichhörnchen» in der Finanzpolitik vor. Nach Auffassung seiner Fraktion hat die Koalition klar gegen die Schuldenbremse verstoßen. Die Liberalen sind der Meinung, dass der Vorjahresüberschuss im Haushalt des Landes ausgereicht hätte, um die nötigen Ausgaben zu decken. In dem Organstreitverfahren wollen die Liberalen nun klären lassen, ob die Landesregierung mit Verweis auf die Corona-Krise erneut die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse in Anspruch nehmen durfte. Es gehe um die Wächterfunktion des Parlaments, sagte Fraktionschef Rülke.

In der mündlichen Verhandlung vom Montag wird vor allem darum gestritten, ob die Klage der Liberalen überhaupt zulässig ist. Für eine Normenkontrollklage fehlt der FDP das Quorum von 25 Prozent der Stimmen des Landtags - auch weil sie nicht mit der AfD gemeinsame Sache machen will. Deshalb strengte sie ein sogenanntes Organstreitverfahren an - dieses nutzt man sonst, um eigene Rechte geltend zu machen, nicht um den Haushaltsgesetzgeber zu verklagen. Die Sache klingt komplex: Die FDP-Fraktion klagt nun gegen den Landtag, dem sie selbst als Parlamentsminderheit angehört, um die Rechte dieses Landtags geltend zu machen - gegen die Parlamentsmehrheit. Formal sitzen Vertreter des Landtags im Gerichtssaal, die Klage zielt aber auf die Politik der grün-schwarzen Koalition.

Die Gegenseite verwies in der mündlichen Verhandlung darauf, dass der Fall wegen der Höhe der Summe nicht hinreichend gravierend sein könnte. Es gehe um 1,7 Prozent des Gesamtvolumens des Haushalts, sagte der Anwalt des Landtags, Christofer Lenz. Zu den Tilgungsverpflichtungen für künftige Landtage sagte er: «Da gibt es noch ganz andere Belastungen.»

Rülke sprach hingegen von einer «Salamitaktik» beim Schuldenmachen, durch die sich ein Gesamtvolumen entwickle, das am Ende die Gestaltungsmöglichkeit künftiger Generationen einschränke. Im Frühjahr 2020 habe man ferner noch von einer Katastrophensituation sprechen können, aber nicht mehr im Sommer 2021. Der Anwalt der FDP, Thomas Würtenberger, sagte, wenn man der Wächterrolle des Parlaments gerecht werden wolle, müssten offensichtliche Verstöße auch bei geringen Beträgen überwachbar sein.

Eine Entscheidung über die Zulässigkeit der FDP-Klage wurde am Montag noch nicht gefällt.

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