Polen pro stärkere Beteiligung an nuklearer Abschreckung
Polen kann sich eine stärkere Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato vorstellen - auch ohne Atomwaffen auf dem eigenen Staatsgebiet zu stationieren. «Polen wäre potenziell bereit, seine Beteiligung und Zusammenarbeit im Rahmen der nuklearen Abschreckung der Nato auszuweiten und Verantwortung zu übernehmen», sagte der Sicherheitsberater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, Jacek Siewiera, der Deutschen Presse-Agentur. «Die Stationierung von Atomwaffen ist aber etwas anderes», fügte er hinzu.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte vor wenigen Tagen angekündigt, Atomwaffen in Belarus stationieren zu wollen - ein Land, das an Polen grenzt. Nato-Staaten wie die USA und Deutschland hatten darauf gelassen reagiert. Die USA haben seit vielen Jahrzehnten Atomwaffen in mehreren europäischen Ländern stationiert, darunter Deutschland. Auf dem Fliegerhorst Büchel in der rheinland-pfälzischen Eifel sollen noch bis zu 20 Bomben lagern. Dort sind auch Tornado-Kampfjets stationiert, die die Waffen im Ernstfall einsetzen sollen.
Duda: Haben bereits mit US-Politikern darüber gesprochen
Im Nato-Jargon wird das «nukleare Teilhabe» genannt. Polen ist bislang nur an Beratungen darüber beteiligt etwa in der Nuklearen Planungsgruppe der Nato, die streng geheim tagt. Siewiera sagte nicht, wie genau er sich eine stärkere Beteiligung vorstellt. Er verwies aber darauf, dass zur nuklearen Teilhabe auch Flugzeuge gehörten, die «spezielle Waffen» tragen könnten.
Der polnische Präsident Duda hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres sein grundsätzliches Interesse an einer stärkeren Beteiligung an der nuklearen Abschreckung der Nato angemeldet. «Wir haben mit führenden amerikanischen Politikern darüber gesprochen, ob die Vereinigten Staaten eine solche Möglichkeit in Betracht ziehen. Das Thema ist offen», sagte er damals der polnischen Zeitschrift «Gazeta Polska». Er wurde damals so verstanden, dass die Stationierung von Atomwaffen auf polnischem Territorium für ihn eine Option sei.
«Es geht nicht um Gefühle, sondern um Berechnungen»
Siewiera sagte nun auf die Frage, ob Polen sich Atomwaffen auf seinem Staatsgebiet wünsche, um sich sicherer zu fühlen: «Es geht nicht um Gefühle, sondern um Berechnungen. Es gibt bereits zahlreiche Atomwaffen in Europa im Rahmen der nuklearen Teilhabe.» Es sei aber noch einfacher, «taktische Nuklearwaffen mit moderner Ausrüstung, mit modernen Flugzeugen einzusetzen», fügte der Leiter des Nationalen Sicherheitsbüros Polens hinzu.
Es gibt keine offiziellen Angaben zu den in Europa stationierten US-Atomwaffen. Neben Deutschland sollen sie aber auch in den Niederlanden, Belgien, Italien und in der Türkei lagern. Expertenschätzungen zufolge sollen es insgesamt noch etwa 100 sein. Sie haben eine Sprengkraft von bis zu 50 Kilotonnen - etwa das 13-fache der ersten US-Atombombe, die 1945 die japanische Großstadt Hiroshima fast vollständig zerstört hat. Mit Großbritannien und Frankreich besitzen zwei weitere Nato-Staaten eigene Atomwaffen.
Auch baltische Staaten fordern keine Atomwaffen
Möglicherweise wird auf dem Nato-Gipfel in der litauischen Hauptstadt Vilnius im Juli darüber gesprochen, wie es mit der nuklearen Abschreckung der Nato weitergehen soll. Aber auch aus den baltischen Staaten kommen bislang keine Forderungen, Atomwaffen innerhalb des Bündnisgebiets nach Osten zu verschieben. Lettland und Litauen - die neben Belarus auch direkt an Russland grenzen - wollen sich stattdessen für neue Sanktionen stark machen. Die geplante russische Atomwaffen-Stationierung in Belarus sei nichts Neues und stelle keine größere Bedrohung dar als Russland insgesamt, sagte etwa der lettische Nato-Botschafter Edgars Skuja im lettischen Radio.
Litauens Verteidigungsminister: Verteidigung gewährleistet
Auch der litauische Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas sieht keine Notwendigkeit, unmittelbar auf die russische Pläne zu reagieren. «Wir sollten uns davon nicht ablenken lassen und schreien "Was wird jetzt passieren?"», meinte er nach Bekanntgabe der russischen Atom-Pläne. «Die Verteidigung eines Nato-Landes gegen die Bedrohung durch Atomwaffen ist gewährleistet, unabhängig davon, ob diese Waffen westlich unserer Grenzen, östlich oder nördlich stationiert sind.» Damit spielte er darauf an, dass auch in der russischen Exklave Kaliningrad östlich von Litauen oder im Gebiet um St. Petersburg im Norden Atomwaffen sein könnten.
In Kaliningrad hatte Russland schon vor einigen Jahren Iskander-Raketen stationiert, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können und eine Reichweite von 500 Kilometern haben - sie könnten damit bis nach Deutschland fliegen. Dass solche Raketen zusammen mit umgebauten Flugzeugen, die taktischen Atomwaffen tragen können, nun auch nach Belarus verlegt werden sollen, kommt für den litauischen Armee-Chef Valdemaras Rupsys «nicht unerwartet». Natürlich sei das eine «Herausforderung», sagte er. Eine Verlegung von Atomwaffen nach Litauen hält er aber nicht so ohne weiteres für möglich - selbst wenn der politische Wille da wäre. Dafür müssten zunächst die Bedingungen geschaffen werden, sie zu lagern.
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