Palmer sorgt mit «Judenstern»-Äußerung für Aufregung
Eine verbale Auseinandersetzung von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer mit einer Gruppe vor einer Migrationskonferenz in Frankfurt am Main sorgt für Aufsehen. Palmer hatte am Freitag vor einem Gebäude der Goethe-Universität zu Art und Weise seiner Verwendung des «N-Wortes» Stellung bezogen. Er wurde daraufhin mit «Nazis raus»-Rufen konfrontiert. Daraufhin sagte Palmer zu der Menge: «Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem Ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für Euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach.» Mehrere Medien berichteten über den Vorfall. Mit dem sogenannten N-Wort wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.
Palmer bestätigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass die Äußerungen so gefallen sind. «Ich habe die Methode der Protestierer, mir den Stempel als Nazi und Rassist aufzudrücken, niederzuschreien und auszugrenzen, als Vergleich herangezogen», erklärte Palmer den Kontext aus seiner Sicht. Er habe den Protestierenden erklärt, dass Nazis die Gräber seiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert hätten und ihnen entgegnet, dass «ihre Methode der Ächtungen und Ausgrenzung sich nicht vom Judenstern unterscheidet».
Palmer bestätigte der dpa die Verfolgung seiner jüdischen Vorfahren durch die Nazis. 2021 hatte er seine Familiengeschichte auf Facebook thematisiert: Auf dem jüdischen Friedhof in Königsbach lägen seine Ahnen bis ins 18. Jahrhundert. 1937 sei der Familie dann die Flucht in die USA gelungen. Sein Vater blieb als «uneheliches Kind einer Nichtjüdin im Remstal und wurde in der Schule vom Lehrer Moses genannt, nicht Helmut».
Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, nahm Bezug auf Palmers ruhende Mitgliedschaft bei den Grünen und schrieb bei Twitter, dieser Schritt sei «nicht ohne Grund» erfolgt. «Der neuerliche Tiefpunkt von Boris Palmer kann trotzdem nicht so stehen bleiben.» Rassistische Äußerungen und die Relativierung des Leidens von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus seien aufs Schärfste zu verurteilen.
Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) hielt ein Grußwort bei der Konferenz «Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen der Einwanderungspolitik in Deutschland», bei der Palmer über seine Ansicht zur nicht mehr gebräuchlichen Verwendung des «N-Wortes» sprach. «Die Wortwahl und die Beiträge von Boris Palmer an der Universität Frankfurt sind indiskutabel. Derartige Provokationen leisten Spaltung, Ausgrenzung und Rassismus Vorschub. Sie schaden in einer Debatte, die mit Sensibilität und Ernsthaftigkeit zu führen ist», sagte der CDU-Politiker am Samstag in einer Pressemitteilung.
Auch der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, zeigte sich empört und forderte eine öffentliche Entschuldigung Palmers. «Jede explizite oder implizite den Holocaust relativierende Aussage ist vollkommen inakzeptabel und wird an und von der Goethe Universität nicht toleriert - dies gilt gleichermaßen für die Verwendung rassistischer Begriffe», sagte Schleiff in einer Stellungnahme auf der Universitäts-Website.
In einem Facebook-Post am Samstag erläuterte Palmer, er sage das «N-Wort», weil er Sprachvorschriften nicht akzeptiere. «Das hoch umstrittene Wort» gehöre jedoch nicht zu seinem aktiven Wortschatz. «Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext.»
Palmer hatte im Mai 2021 in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das sogenannte N-Wort benutzt. Dies hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende dieses Jahres ruhen lässt. Im Oktober 2022 war er in Tübingen dann als unabhängiger Kandidat angetreten und war im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit - unter anderem gegen die Kandidatin der Grünen - für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden.
Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister in der schwäbischen Universitätsstadt. Mit pointierten Äußerungen etwa zur Flüchtlingspolitik sorgte er immer wieder für Kontroversen und sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Bundesweites Aufsehen und Anerkennung brachte aber auch sein Management während der Corona-Pandemie. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte kurz nach der Wiederwahl Palmers auf eine schnellere Wiederaufnahme Palmers bei den Grünen gedrungen.
Links
© dpa-infocom, dpa:230429-99-499925/5