UN-Bericht warnt: Finanzierungslücken bei Klimaanpassung
Das UN-Umweltprogramm UNEP warnt in einem neuen Bericht vor Finanzierungslücken beim Anpassungsprozess auf den Klimawandel und seine Folgen. Die Weltgemeinschaft müsse die Emissionen von Treibhausgasen reduzieren und Maßnahmen zum Schutz von Menschen in besonders von den Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Gebieten vorantreiben, so die Forderung des in Nairobi vorgestellten Berichts. «Aber nichts davon geschieht», klagte UNEP-Direktorin Inger Andersen.
Die Welt sei «unterfinanziert und unvorbereitet», warnte Andersen. Sie forderte die politischen Entscheidungsträger auf, sich mit entsprechenden Finanzzusagen auf dem anstehenden Klimagipfel COP28 für den Schutz einkommensschwacher Länder und benachteiligter Bevölkerungsgruppen vor den Auswirkungen der Klimaveränderungen zu engagieren. Auch das laufende Jahr stehe für globale und regionale Temperaturrekorde, Hitzewellen, Überschwemmungen, und Stürme.
Eigentlich müssten aus der Sicht von Experten die Vorbereitungen auf die Anpassung betroffener Länder auf die Auswirkungen des Klimawandels mit Tempo vorangetrieben werden. Doch das Gegenteil sei der Fall, klagt Andersen. Gerade in unterentwickelten Ländern sei der finanzielle Bedarf 10 bis 18 mal höher als die tatsächlich erhaltenen Gelder.
100 Milliarden US-Dollar von den Industriestaaten jährlich
Die Industriestaaten haben sich dazu verpflichtet, 100 Milliarden US-Dollar jährlich für den internationalen Einsatz gegen den Klimawandel aus öffentlichen und privaten Quellen bereitzustellen - eigentlich schon seit dem Jahr 2020. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht davon aus, dass dieses Ziel im laufenden Jahr erstmals erreicht wird. Der Fonds soll Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Aufbau einer klimafreundlicheren Wirtschaft helfen. Dazu stellt er Zuschüsse, Kredite, Garantien und Eigenkapital bereit und bemüht sich auch um die Mobilisierung privaten Kapitals. Auf der anstehenden Weltklimakonferenz in Dubai wird es auch darum gehen, wie die Finanzierung langfristig gesichert und aufgestockt werden soll.
Insgesamt betrage die Finanzierungslücke weltweit zwischen 199 bis 366 Milliarden Dollar jährlich, so der UNEP-Bericht. Ungeachtet der Versprechungen auf der COP26 in Glasgow seien die Finanzflüsse an unterentwickelte Länder um 15 Prozent auf 21 Milliarden Dollar im Jahr 2021 gesunken. Gleichzeitig verlangsamten sich die Planungen neuer Anpassungsprojekte.
«Klimawandel wird auf lange Sicht bleiben»
«Selbst wenn die internationale Gemeinschaft heute sämtliche Emissionen von Treibhausgasen stoppen würde, würde es Jahrzehnte dauern, bis sich das Klima stabilisiert», betonte Andersen. «Der Klimawandel wird auf lange Sicht bleiben.»
So weist der UNEP-Bericht auf eine Untersuchung hin, die schätzt, dass die Wirtschaften der 55 besonders empfindlich auf den Klimawandel reagierenden Länder in den vergangenen 20 Jahren Schäden und Verluste in Höhe von mehr als 500 Milliarden Dollar erlitten hätten. Ohne Anpassungsprogramme könnte diese Summe künftig stark steigen, hieß es.
Ähnlich schätzt die Umweltorganisation WWF die Situation ein. «Gegen einen Tsunami an Klimafolgen hilft kein Deich mehr», sagte WWF-Klimachefin Viviane Raddatz. «Neben effektiven Anpassungsmaßnahmen brauchen wir noch dringender weitreichende Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen.»
Deutschland stehe in historischer Verantwortung voranzugehen. «Dafür brauchen wir ein stärkeres statt schwächeres Klimaschutzgesetz, ein Klima-Mainstreaming des Bundeshaushalts, den weltweiten schnellen Ausstieg aus Fossilen - und ihren Subventionen - und die Verdreifachung der Erneuerbaren bis 2030», betonte Raddatz.
Teresa Anderson, bei Action Aid zuständig für den Bereich Klimagerechtigkeit, hatte bereits im Juni gefordert, auf der COP28 müssten die finanziellen Löcher bei der Finanzierung der Bewältigung von Klimaschäden dringend gestopft werden.
Welthungerhilfe: Harte Folgen vor allem im Globalen Süden
Die Erkenntnis des UNEP-Berichts sei keineswegs überraschend, so Klimaexperte Michael Kühn von der Welthungerhilfe. «Selbst die 100 Milliarden Dollar Klimafinanzierung, die von den Industrieländern jährlich ab 2020 zur Verfügung hätten gestellt werden müssen, sind noch nicht in vollem Umfang geflossen», sagte er. «Aus der Sicht der Betroffenen vor allem im Globalen Süden bedeutet das nichts anderes, als dass sie weiterhin den enormen Risiken durch Extremwettereignisse ausgesetzt sind, die oft zu ausgedehnten Dürren und Überflutungen durch Starkregen, vermehrter Wüstenbildung, Vertreibung, erzwungener Migration und Nahrungsmittelkrisen führen.»
Viele Länder, die unter dem Klimawandel leiden, sind auch ernährungsunsicher. Anpassung gegen den Klimawandel kann deshalb auch zur Verhinderung oder Einschränkung von Hunger nach Missernten, Dürre oder Überschwemmungen beitragen, betonte Kühn. Ein Beispiel seien etwa «schwimmende Gärten», ein Konzept, mit dem die Welthungerhilfe in Bangladesch Familien dabei unterstütze, ihre Landwirtschaft den Bedingungen des fortschreitenden Klimawandels anzupassen. Auf einem Bambusgestell werden Schlamm und Erde aufgehäuft und mehrere Sorten Saatgut eingebracht, wie roter Amaranth, Wasserspinat, Bohnen oder Flaschenkürbis. «Das Beet schwimmt also auf dem Wasser. Auf diese Weise verlieren die Familien selbst bei Flut nicht alles, was sie angebaut haben.»
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