Ohne Geld kein Gold: Spitzensport warnt vor Abwärtsspirale
Es ist Olympia und Deutschland gewinnt: nichts. Kein ganz abwegiger Gedanke, denn der massive Abwärtstrend des deutschen Spitzensports hat aus Sicht von Athleten und Funktionären schon lange bedrohliche Ausmaße angenommen.
Das desaströse WM-Scheitern der Fußball-Nationalteams bei Männern und Frauen ist nur ein plakatives Beispiel. Keine Medaille bei der Leichtathletik-WM, nur einmal Bronze im Becken bei der Schwimm-WM. Und mitten in die Diskussion über Sinn und Unsinn einer Olympia-Bewerbung für 2036 spitzt sich für die Kaderschmiede der Technik und Trainingswissenschaften bei den Instituten FES und IAT die finanzielle Lage durch drohende Finanzkürzungen auf bedrohliche Weise zu.
«Es macht mich wütend, dass der Sport in der Gesellschaft nicht den Stellenwert hat», sagte Kanu-Olympiasieger Ronald Rauhe bei einer Pressekonferenz des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) und des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT). Vier Millionen Euro sollen diese 2024 einsparen, 19 Prozent des Etats. Das werde sicher weitere sportliche Erfolge kosten, befürchten Experten.
«Wenn wir nicht die Finanzen und Möglichkeiten haben, wird das schwierig», warnte der vierfache Bob-Olympiasieger Francesco Friedrich. Ohne die Expertise des FES hätte er 2018 und 2022 nicht vier Goldmedaillen gewonnen, betonte Friedrich. «Es geht um Hundertstel», sagte der 33-Jährige. Die hole nicht nur er in der Bahn heraus, sondern die Wissenschaftler vom FES an seinem Bob.
Exodus abseits der Arenen
Know-how, gerade in den technisch komplizierten Disziplinen mit Sportgeräten, drohe verloren zu gehen, hieß es. Hoch qualifizierte Mitarbeiter könnten von der internationalen Konkurrenz abgeworben werden. Ein Exodus abseits der Arenen - und der in der unmittelbaren Vorbereitung auf die Sommerspiele 2024 in Paris.
In dem mehrstöckigen FES-Komplex in einem Industriegebiet im Osten Berlins hallten die Warnungen vor einer Medaillen-Ebbe eindringlich wider. Mit einer breiten Allianz aus Athleten, Wissenschaftlern und der Politik wollen die Institute die monetären Einschnitte noch abwenden. Hoffnung machte Frank Ullrich als Vorsitzender des Bundestags-Sportausschusses. Insgesamt geht es für den deutschen Sport um zehn Prozent. 276 Millionen Euro statt 303 Millionen Euro hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch veranschlagt.
«Ich werde mich sehr stark auch bei unseren Haushältern dafür einsetzen, dass wir diese Kürzungen vermeiden», sprach der SPD-Politiker Ullrich zumindest schon mal vom FES- und IAT-Budget und berichtete von bereits geführten Gesprächen. Auch die Regierung deutete Kompromissbereitschaft an. «Dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) ist daran gelegen, auch im kommenden Jahr die Grundlage für Spitzenleistungen zu legen - nicht nur wegen der bevorstehenden Olympischen und Paralympischen Spiele. Deswegen stimmen wir derzeit zusätzlich weitere Lösungsansätze im Bereich der Sportförderung ab», hieß es auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.
Relativierende Töne aus dem Ministerium
Aus dem für den Sport zuständigen Ministerium kommen ohnehin relativierende Töne. Die Pläne für Paris seien gar nicht tangiert. «Die Trainingsmaßnahmen vor den Olympischen Spielen und Paralympischen Spielen in Paris sind Teil der Jahresplanung der olympischen Verbände 2024, wofür die Mittel im Vergleich zu 2023 gleich geblieben sind.»
Rauhe und Friedrich sehen aber ein anderes Problem. Auch mit dem finanziellen Status quo ist das Leistungsniveau kaum noch zu halten. Die Konkurrenz arbeitet ständig an innovativen Lösungen. Eine Initiative für den Sport als treibende Kraft einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung ist das große Ideal.
Glaubt man dem Vorstandsvorsitzenden des gemeinamen FES/IAT-Vereins, Martin Engelhardt, ist die gesamtgesellschaftliche Quittung ohne Investitionen in den Spitzensport exorbitant hoch. «Unser Land, unsere Jugend benötigt Vorbilder. Das sind Sportler, daran orientiert sich die Gesellschaft», sagte der Chef der Deutschen Triathlon Union. Als Mediziner erlebe er, was die Reduzierung von sportlicher Aktivität bedeute - gerade durch anfallende Kosten im Gesundheitswesen im Milliardenbereich. Dramatische Konsequenzen hätten die Streichungen auch für den Parasport - Inklusion würde noch mehr verhindert.
«Wir reden uns immer noch nach unten»
Für Engelhardt sind die Kürzungen auch ein Indiz, dass Olympische Spiele in Deutschland von der Politik gar nicht gewollt sind. Für Hanns Michael Hölz, Präsident des Deutschen Snowboardverbandes ein fatales Signal: Der Sport müsse als positives Merkmal im internationalen Wettbewerb genutzt werden. «Wir reden uns immer noch nach unten. Dann geht die Schleife auch nach unten», sagte er. Es sei angesichts der generellen Atmosphäre kein Wunder, dass der neue Speerwurf-Weltmeister Neeraj Chopra nicht aus Deutschland, sondern aus Indien komme. Der deutsche Leichtathletik-Verbandschef Jürgen Kessing warnte jüngst bei der WM in Budapest, der Tiefpunkt im deutschen Sport sei erst im nächsten Jahr zu erwarten.
© dpa-infocom, dpa:230904-99-70334/3