Der Wunsch nach Perspektive
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Der Wunsch nach Perspektive

08.02.2021

Wie geht es Friseuren, Gastronomen und Händlern im Land?

Drei Monate dauert der Lockdown für einige Branchen bereits an. Nicht nur wirtschaftlich, auch psychisch leiden viele Betriebe darunter, tausende stehen vor der Insolvenz. Am Mittwoch beraten sich Bund und Länder beim Corona-Gipfel über das weitere Vorgehen, den Umgang mit ansteckenderen Virusmutationen und mögliche Öffnungsperspektiven. Wie es den Einzelhändlern, Gastronomen und Friseurs im Land geht und was sie von der Politik fordern lest Ihr hier.

Gastronomie

„Der lange Lockdown belastet Hotel- und Gaststättenbetreiber nicht nur wirtschaftlich, sondern auch psychisch“, berichtet Tobias Zwiener, Geschäftsführer Grundsatzfragen beim Branchenverband DEHOGA Baden-Württemberg. Die Finanzhilfen kommen nur verzögert, viele Betriebe warteten immer noch auf die Dezemberhilfen. Für Gastronomen, von denen manche bereits im Frühjahrslockdown ihre Reserven verbraucht haben, sei das eine „extrem lange Durststrecke“.

Take-Away als Beschäftigungstherapie

Restaurants, die den Betrieb am weiter am Laufen halten mit Essenslieferungen, täten dies weniger aus wirtschaftlichen Gründen, sondern um beim Kunden zu sein und eine tägliche Aufgabe zu haben. Eine Art „Beschäftigungstherapie“, nennt Zwiener es. Oftmals sei der Betrieb auch wieder eingestellt worden, weil es sich nicht lohnt, gerade in den Innenstädten.

Klare Perspektive statt schnelle Öffnungen

Wenn Hotels und Restaurants wieder öffnen, dann sollen sie auch offen bleiben. Wird nach dem Öffnen gleich wieder geschlossen werden muss, weil die Infektionszahlen erneut außer Kontrolle geraten, schade dies den Betrieben mehr, als dass es helfe. Aber ein Plan brauche es: „Die Branche erwartet eine verlässliche Öffnungsperspektive“, fordert Zwiener, eine klare Vorgabe der Politik, welche Inzidenzwerte maßgeblich sein. Für die Branche hofft er, dass das Umsatzstarke Geschäft zu Ostern oder Pfingsten wieder möglich wird.

Einzelhandel

Buchläden, Modeläden, Spielwarengeschäfte – sie alle sind seit Mitte Dezember geschlossen. Den Einzelhändlern geht es schlecht, daran ändert auch der Click&Collect-Service wenig. Bis zu 12.000 Geschäfte könnten noch in diesem Jahr bei uns im Land schließen oder Insolvenz anmelden, rechnete der Handelsverband Baden-Württemberg (HBW) im Dezember vor. „Der Einzelhandel steht mit dem Rücken zur Wand, die Situation ist dramatisch“, mahnt Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbands. Zuvor kerngesunde Unternehmen, die teils auf eine jahrhundertlange Tradition zurückblicken können, wüssten nicht, wie lange sie noch überleben werden. Sie fordert eine schnellstmögliche Öffnungsperspektive.

“Die Rücklagen waren eigentlich für meine Rente gedacht"

“Es ist die Hölle”, beschreibt Sylvia Metzner,  Inhaberin der Boutique Chamäleon in Wolfach im Ortenaukreis, ihre aktuelle Lage,. Ihr Lager ist voll mit Winterware, die sie jetzt nicht mehr verkaufen könne - Ware im Wert von tausenden von Euro, die verloren sei. Um weitermachen zu können, braucht sie nun die Rücklagen auf, die eigentlich für Ihre Rente gedacht waren: “Ich in 61 Jahre alt, ich habe keine 20 Jahre mehr Zeit, um das aufzuholen. Dieses Loch fange ich nie mehr auf".

Mehr Kontaktverfolgung statt pauschale Schließungen

Die Geschäfte so schnell wie möglich wieder öffnen, am besten ab 15. Februar – das wünscht sich Hagmann. Der Einzelhandel sei kein Infektionsherd, die Hygienekonzepte im letzten Jahr sein „perfekt“ umgesetzt gewesen. Statt flächendeckend Geschäfte sollte lieber landesweit mehr getestet oder die Corona-App verbessert werden, um Infektionsketten nachverfolgen zu können, sagt sie. Hagmann sieht die Branche als „Sonderopfer“ und fordert eine Entschädigungen vom Staat: „Was wir bisher bekommen haben an Krediten ist alles andere als ausreichend“.

Friseure

Nicht nur der Frust wächst in der Corona-Krise, sondern auch die Haare. Die Friseure in Baden-Württemberg würden gerne mit geschärften Scheren zur Hilfe eilen, die etwa 11.000 Salons im Land müssen aber weiter geschlossen bleiben. „Uns geht’s richtig schlecht“, sagt Herbert Gassert. Er ist Vorsitzender des Fachverbands Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg und betreibt selbst zwei Salons. Er kämpft für die Öffnung der Friseurgeschäfte, vor allem aber fordert er eine schnelle Auszahlung der Überbrückungshilfen und des Kurzarbeitergelds: „das Geld wird zu langsam ausgezahlt, das ist die ganz große Problematik und der Hilfeschrei aus der Basis“.

„Wir werden kämpfen, bis wir öffnen dürfen“

Gassert hofft, dass die Friseursalons im Land ab dem 15. Februar wieder öffnen können. Für eine Öffnung sei alles vorbereitet. Die Hygienekonzepte habe man nochmal überarbeitet und die Betriebe sein auch bereit, weniger Kunden pro Quadratmeter zu akzeptieren. Bleiben die Salons geschlossen, befürchtet er mehr Schwarzarbeit: „Es wird in Hinterzimmern geschnitten, dort halten sich mehr Personen pro Quadratmeter auf, machen vielleicht noch ein Kaffeekränzchen – da stecken sich mehr an.“

Bilder: Symbolbilder/shutterstock