Mord am Steuer? Raser-Prozess könnte vor Abschluss stehen
22.04.2024
Kann ein Auto eigentlich zu einer Mordwaffe werden, wenn es im Geschwindigkeitsrausch gesteuert wird und einen tödlichen Crash verursacht? Deutsche Richter sind sich uneins, unter welchen Umständen ein Raser zum kaltblütigen Mörder wird, wann es sich um einen Totschlag handelt und wann um eine Körperverletzung mit tödlichen Folgen. Die entscheidenden Argumente wägt seit August auch das Heilbronner Landgericht im Prozess um einen tödlichen Crash in der Innenstadt ab. Reichen die Beweise aus, um dem angeklagten 21-Jährigen einen Tötungsvorsatz und Mordmotiv nachzuweisen? Am Montag (15.00 Uhr) könnte die Kammer ihre Entscheidung verkünden.
Sicher ist das aber nicht. Denn das Gericht könnte auch noch einmal trotz gehaltener Plädoyers und dem letzten Wort des Angeklagten in die Beweisaufnahme gehen. Der Grund: Die Verteidiger haben zwei weitere Hilfsanträge gestellt. Wird ihnen stattgegeben, müssten zwei weitere technische Sachverständigengutachten eingeholt werden.
Unwidersprochen ist, dass der angeklagte junge Mann beim Zusammenstoß mit dem anderen Auto im Februar des vergangenen Jahres weit mehr als doppelt so schnell wie erlaubt unterwegs war. Ein Crash mit fatalen Folgen. Der hochtourige Sportwagen krachte in der Tempo-40-Zone in das Auto eines 42 Jahre alten Mannes, als dieser seinen Wagen aus einer Grundstücksausfahrt herausfuhr. Der Familienvater kam ums Leben, seine Frau wurde schwer verletzt, zwei Kinder erlitten leichte Verletzungen. Vor dem Aufprall soll der als Temposünder bereits bekannte junge Autofahrer fast eine Fußgängerin überfahren haben, die gerade noch ausweichen konnte.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt fasste der junge Türke aus Sicht der Staatsanwaltschaft einen bedingten Tötungsvorsatz. Die Anklägerin plädiert unter anderem auf eine Verurteilung zu neun Jahren Jugendstrafe wegen Mordes und dreifachen versuchten Mordes. In der ursprünglichen Anklage war sie noch von Totschlag und versuchtem Totschlag ausgegangen, sie hatte sich aber im Laufe der Beweisaufnahme der Argumentation der zweiten Großen Jugendkammer angeschlossen. Diese hatte ihrerseits in zwei rechtlichen Hinweisen den Hinweis erteilt, es könne sich auch um Mord und versuchten Mord handeln. Als mögliches Mordmerkmal komme die Heimtücke infrage, hatte der Richter erklärt.
Die vier Anwälte der Nebenkläger hatten sich in dem Prozess nach 23 Verhandlungstagen der Staatsanwaltschaft angeschlossen, sie fordern allerdings eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht. Zum Unfallzeitpunkt war der Fahrer 20 Jahre alt, er gilt damit als Heranwachsender, der unter Umständen nach Jugendrecht zu verurteilen ist. Der psychiatrische Sachverständige und die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe hatten ihn im Prozess als entwicklungsverzögert eingestuft. Seine beiden Verteidiger gehen dagegen von fahrlässiger Tötung und dreifacher fahrlässiger Körperverletzung aus.
Illegale Autorennen gelten bereits seit Oktober 2017 als Straftat. Seitdem kann schon die Teilnahme mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Strafbar ist allerdings auch ein «Rennen gegen sich selbst».
Eine juristische Premiere ist der Heilbronner Fall daher keineswegs mehr. In den vergangenen Jahren hat es immer wieder Mordanklagen nach Rasereien oder illegalen Autorennen gegeben. Im November wurde in Wiesbaden ein Mann zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er ein Jahr zuvor wegen des «Kicks» mit einem hochmotorisierten Auto mit Tempo 130 über mehrere rote Ampeln der Wiesbadener Innenstadt gerast und auf einer Kreuzung mit seinem Wagen mit einem anderen Auto zusammengestoßen war. Dessen Fahrer kam ums Leben. Besonders bekannt wurde der Fall zweier Männer, die sich 2016 auf dem Berliner Ku'damm ein Rennen geliefert hatten, bei dem ein unbeteiligter Rentner starb. Hier wurde ein Fahrer wegen Mordes und der zweite Raser wegen versuchten Mordes verurteilt.
Für Schlagzeilen hatte auch ein Prozess in Stuttgart vor vier Jahren gesorgt: Ein damals 21-Jähriger hatte bei hoher Geschwindigkeit die Kontrolle über einen gemieteten Sportwagen verloren. Er kollidierte mit seinem Auto mit einem Kleinwagen, in dessen Trümmern zwei Menschen starben. Angeklagt war der junge Mann wegen Mordes, verurteilt wurde er zu fünf Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags.
Auch bei anderen Raser-Mordprozessen ist es längst nicht immer zu entsprechenden Verurteilungen gekommen. Es bleibt stets die Frage, ob dem Angeklagten ein Tötungsvorsatz und Mordmotiv nachgewiesen werden kann. Selbst ein Autorennen mit Todesfolge ist also nicht immer gleich als Mord anzusehen.
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