Immer mehr Schaden – Wie der Handel unter Ladendieben leidet
06.06.2025
Da wird ohne zu zögern aus den Auslagen vor dem Geschäft geklaut, an den Selbstbedienungskassen im Supermarkt wird ein großer Teil des Einkaufs gar nicht erst nicht über den Scanner geschoben und zunehmend ziehen auch eingespielte Banden von Dieben durch die Läden. Ihr Ziel: Alles, was teuer ist und sich im Internet gut weiterverkaufen lässt.
Laut Ermittlern greifen Täter auf ihren Beutezügen zunehmend gezielt zu teuren Produkten und großen Mengen. Die Folge: Der Schaden wächst – obwohl offiziell weniger Fälle registriert werden. Während die Polizei laut Handelsverband oft überlastet und frustriert ist, fordern Händler weniger Hürden beim Datenschutz und einen besseren Draht zu den Ermittlern.
Wie viel wird geklaut?
Nach Angaben des Innenministeriums wurden im vergangenen Jahr 43.910 Fälle von Ladendiebstahl registriert – das ist zwar ein Rückgang um 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Allerdings gehen Handel und Politik von einer enormen Dunkelziffer aus. Viele Diebstähle würden nicht entdeckt oder gar nicht erst angezeigt. «Oft ist der bürokratische Aufwand viel größer als der Ertrag», sagt Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg (HBW). Das Kölner Handelsforschungsinstitut EHI Retail Institute (EHI) schätzt in einer Studie, dass bundesweit weniger als zwei Prozent der tatsächlichen Fälle angezeigt werden.
In seiner Studie vergleicht das EHI den durchschnittlichen Schaden aller angezeigten Diebstähle und den per Inventur festgestellten Warenschwund im Handel. Das Ergebnis: Jahr für Jahr bleiben demnach etwa 24 Millionen Ladendiebstähle im Wert von je 117 Euro unentdeckt. Das entspricht rund 100.000 Ladendiebstählen je Verkaufstag - bundesweit.
Wie hoch ist der Schaden?
Auch in Baden-Württemberg liegt die tatsächliche Schadenssumme nach den Schätzungen um ein Vielfaches über der offiziellen Statistik von rund 6,6 Millionen Euro (plus 14,1 Prozent) für das Jahr 2024. Allein für das Jahr zuvor schätzt die EHI-Studie den Schaden im Südwesten auf 580 Millionen Euro.
Auch Hagmann traut den offiziellen Zahlen nicht: «Die Statistik zeigt nur einen Bruchteil der tatsächlichen Diebstahlbelastung. Der Gap ist riesengroß», sagt sie. «Ein solcher Schaden für den Einzelhandel ist auch ein herber Dämpfer für die Wirtschaft des Landes insgesamt», mahnt zudem der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Boris Weirauch.
Weniger Fälle, höherer Schaden? Ja, denn vor allem professionell organisierte Banden nutzten koordinierte Strategien und umgingen Sicherungen, um größere Warenmengen zu stehlen, erklärt das Innenministerium dazu in seiner Antwort auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion. Zudem habe sich bei fast allen Konsumgütern ein Luxus-Segment etabliert, das immer stärker nachgefragt werde. Ein weiterer Grund: Die Produkte werden teurer.
Was wird geklaut?
Generell gilt: Was sich gut verkauft, wird auch oft gestohlen. Häufig sind das kleine, relativ teure Artikel, die sich leicht in der Kleidung oder in mitgebrachten Taschen verstecken lassen. Neben Kleinigkeiten und Lebensmitteln sind Alkohol, Markenklamotten und Sportschuhe der Renner, auch Elektrogeräte, Elektroartikel und - zubehör sowie Tabakwaren und Kosmetika werden oft geklaut. «Man kann sich nicht vorstellen, was die alles raustragen. Es gibt sogar Ladendiebe, die gehen mit Kaffeevollautomaten aus dem Laden», sagt Hagmann.
Wer sind die Täter?
Von den bundesweit 4,1 Milliarden Euro an Ladendiebstählen waren im Jahr 2023 laut EHI rund 2,82 Milliarden Euro der Kundschaft anzulasten, 910 Millionen Euro den eigenen Angestellten und 370 Millionen Euro dem Personal von Lieferanten und Servicefirmen.
Alarmiert ist der Handel auch wegen gewerbsmäßig organisierter Banden, die die Aufgaben in ihren Gruppen genau verteilt haben. Das EHI schätzt, dass mindestens ein Viertel des Gesamtschadens auf das Konto solcher Tätergruppen geht.
Laut Polizeiangaben greift jeder fünfte Tatverdächtige schon mal häufiger zu. Mehr als jeder Zweite hat keinen deutschen Pass. Und mehr als jeder Vierte (27,6 Prozent) war im vergangenen Jahr noch keine 18 Jahre alt - zwei Jahre zuvor war es allerdings noch mehr als jeder Dritte (35,2 Prozent).
Was fordern die Händler?
Der Handelsverband will eine Bundesratsinitiative zur Absenkung des Strafmündigkeitsalters – derzeit liegt es bei 14 Jahren. So sollen Banden daran gehindert werden, gezielt Minderjährige einzusetzen. Kinder entwickelten heute früher eine gewisse Reife, argumentiert Hagmann. Obendrein müssten Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte besser ausgestattet, die Einschränkungen durch den Datenschutz diskutiert werden. «Diebstahl darf keine Straftat ohne Konsequenzen sein», sagt Hagmann.
Schärfere Strafen braucht es aber zumindest aus Sicht des Innenministeriums nicht. Es sei möglich, Diebstahl «effektiv und angemessen» zu sanktionieren, hatte Landesjustizministerin Marion Gentges (CDU) zuletzt gesagt. Sie baut vor allem auch auf den abschreckenden Erfolg von schnellen Verfahren.
Wie schützt sich der Handel?
Der Handel rüstet zwar mit Ladendetektiven, Kameraüberwachung, künstlicher Intelligenz, gesicherter Ware und zeitweise Türstehern auf, doch das ist teuer und hält die Täter genauso wenig ab wie Hausverbote. Die Kosten für die Sicherheitsvorkehrungen in den Geschäften liegen nach Angaben des Handelsverbands jährlich bei weiteren rund 200 Millionen Euro.
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