Auch aus Scham zeigen älteren Menschen sexualisierte Gewalt nicht immer an. (Symbolbild)  , © Philipp Schulze/dpa
Auch aus Scham zeigen älteren Menschen sexualisierte Gewalt nicht immer an. (Symbolbild)  Philipp Schulze/dpa, dpa
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Sexualisierte Gewalt im Alter kommt oft nicht ans Licht

16.08.2025

Wenn ältere Menschen Opfer von sexualisierter Gewalt werden, bleibt das nach Einschätzung eines Experten oft im Verborgenen. «Es gibt ein extrem großes Dunkelfeld», sagte Dominik Gerstner von der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg. «Sexualisierte Gewalt ist vermutlich die am meisten versteckte Form von Gewalt gegen ältere Menschen.»

In Kehl (Ortenaukreis) soll ein 23-Jähriger eine ihm bis dato unbekannte 84 Jahre alte Frau sexuell missbraucht und getötet haben. Der Deutsche ist wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. «Diese Konstellation ist eher ein extrem seltenes Ereignis», sagte Kriminologe Gerstner der Deutschen Presse-Agentur.

Schmaler Grat gerade im Pflegekontext

Deutlich häufiger passierten sexualisierte Taten gegen Ältere in der Partnerschaft oder in der Pflege. Bei weniger schweren Vorfällen wie unangemessenen Berührungen sind sich die Betroffenen Gerstner zufolge häufig gar nicht bewusst, dass sie Opfer einer Straftat geworden sind.

Der Grat zwischen einem notwendigen Handgriff und einer Grenzüberschreitung sei auch sehr schmal, räumte er ein. Daher sei es wichtig, Privatpersonen wie auch professionelle Kräfte zu schulen, wo sexualisierte Gewalt anfange - und Dritte zu sensibilisieren, damit sie eingreifen.

Steigende Opferzahl bei Sexualdelikten

Nach Zahlen des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg wurden im vergangenen Jahr 249 und 17 Männer im Alter von mehr als 60 Jahren Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. 27 Frauen aus der Altersgruppe wurden als Opfer einer Vergewaltigung registriert.

Bei den Sexualdelikten ist die Gesamtzahl der Opfer nach dem ersten Corona-Jahr 2020 um knapp 12 Prozent gesunken: 2021 listet die Statistik 186 Betroffene ab 60 Jahren auf. Seither steigt die Zahl. Bei Vergewaltigungen schwankt sie über die Jahre. Vereinzelt sind hier auch mal Männer Opfer.

Jüngere stärker gefährdet

Einerseits sind ältere Menschen weniger gefährdet, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu werden, wie Kriminalwissenschaftler Gerstner sagte. «Junge Menschen haben einen größeren Aktionsradius.» Für Ältere gebe es gemeinhin im Alltag weniger Situationen, in denen sie auf potenzielle Täter träfen und die für sexuelle Handlungen geeignet seien.

Andererseits erstatteten sie laut Forschungen gemessen an der Zahl der Vorfälle vergleichsweise häufiger Anzeige. «Die Hypothese ist, dass ältere Menschen öfter Opfer schwerer sexueller Delikte werden.» Die Folgen einer solchen Tat seien im Alter häufig gravierender. Dies werde dann eher angezeigt.

«Scham ist eine relativ große Hürde»

Generell nehmen laut Befragungen viele Menschen aber an, dass die Polizei bei Sexualverbrechen wenig machen kann und diese nur schwer zu beweisen sind, wie Gerstner erklärte. Gerade bei Älteren komme hinzu, dass diese zum Beispiel in ihren Möglichkeiten, Anzeige zu erstatten, eingeschränkt seien - weil sie beispielsweise pflegebedürftig oder dement seien.

«Auch Scham ist eine relativ große Hürde», sagte der Wissenschaftler, der an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen arbeitet und früher am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg geforscht hat. Vor allem die Generation, die heute im hohen Alter sei, sei damit groß geworden, dass Sexualität Privatsache sei.

Die Gesellschaft ändere sich aber, sagte Gerstner. Themen wie sexualisierte und häusliche Gewalt rückten stärker in den Fokus und ins Bewusstsein. Daher sei anzunehmen, dass in Zukunft Ältere solche Taten eher anzeigten.

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