Bei Übungen wird die Rettung per Seilwinde mit dem Helikopter geprobt. (Archivbild) , © Matthias Bein/dpa
Bei Übungen wird die Rettung per Seilwinde mit dem Helikopter geprobt. (Archivbild)  Matthias Bein/dpa, dpa
  • Infoline
  • DPA-News
  • regioline

Leichtsinn am Berg: Mit dem Kleiderbügel im Steig

29.07.2025

Wenig Wissen, wenig Kondition, wenig Umsicht: Immer wieder geraten Bergwanderer in höchste Not, weil sie zu unbedacht unterwegs sind. Der Deutsche Alpenverein (DAV) registriert eine «Zunahme von leichtfertigem Verhalten», wie Stefan Winter vom DAV der Deutschen Presse-Agentur sagt.

Ein unglaubliches Beispiel: Ein Tourist aus den Niederlanden wollte 2024 mit seiner acht Jahre alten Tochter in Kärnten in Österreich einen Klettersteig bewältigen. Er band ihr ein Seil um den Bauch und befestigte daran einen Kleiderbügel aus Draht. Mit dem gebogenen Ende sollte sie sich im Führungsseil einhängen. «Das war nur für die Psyche, meine Tochter klettert gut», rechtfertigte sich der Vater, als beide in Not gerieten und gerettet werden mussten.

Ehrgeiz und Egoismus

Was macht die Menschen für die Gefahren in den Bergen so blind? Ehrgeiz und Egoismus, sagt Richard Lehner, Bergführer und -retter aus Zermatt. Die Leute wollten heute in kürzerer Zeit mehr erleben als früher und bereiteten sich schlechter vor. «Da wird eine Tour auf Biegen und Brechen durchgeführt», sagt er. Der Handy-Empfang praktisch überall erhöhe die Risiko-Bereitschaft. «Im Hinterkopf haben die Leute: Wenn es nicht mehr geht, rufe ich an, dann kommt der Hubschrauber und holt mich raus.»

Das stimmt aber nur bedingt. Das Handy funktioniert eben doch nicht überall, und der Hubschrauber kann nicht bei jedem Wetter fliegen. Dabei sind die Voraussetzungen für eine Tour ohne Alptraum gut.

Soziale Medien und Infos aus dem Internet

Nie seien die Qualität der Ausrüstung, die Verfügbarkeit von Informationen wie Wegbeschreibungen und die Wettervorhersagen so gut gewesen wie heute, sagt Roland Ampenberger, Sprecher der Bergwacht Bayern. Nicht alle könnten aber mit den Informationen und der Ausrüstung umgehen. Dass man Touren heute mit Apps leicht planen und herunterladen kann, ohne sich mit dem Weg und den Bedingungen richtig auseinanderzusetzen, trage zum Leichtsinn bei, sagt Rolf Sägesser, Ausbilder beim Schweizer Alpen-Club und selbst Bergführer.

Zudem verleiteten Bilder in sozialen Medien, die Mega-Erlebnisse bei bestem Wetter suggerieren, manche zu dem Wunsch: «So will ich auch aussehen». Sägesser berichtet weiter: «Ich sehe Leute, die sich in den Bergen herumtummeln und ihre Fähigkeiten nicht richtig eingeschätzt haben.» Sie kämen schnell an ihre Grenzen. Wenn das Bauchgefühl sage, etwas stimme nicht, seien diese Warnzeichen ernstzunehmen, rät Klaus Drexel von der Bergrettung in Vorarlberg. Besonders heikel sei «falscher Stolz».

Gefährlicher Trend

Ampenberger sieht einen gefährlichen Trend: Noch Spätnachmittags nach der Arbeit wollten Leute auf den Berg. Seit Jahren mehrten sich Einsätze zwischen 18.00 Uhr abends und 06.00 Uhr morgens. Im Sommer 2024 mussten die Retter bei rund 480 von insgesamt 3640 Einsätzen in dieser Zeit ausrücken. In rund 15 Prozent der Fälle hätten Menschen sich verirrt, seien in schlechtes Wetter geraten oder hätten sich irgendwann weder vor noch zurück getraut.

In der Schweiz gerieten im vergangenen Jahr 3570 Menschen in Bergnot. «Auffällig ist die Zunahme von blockierten und unversehrt geretteten Personen, besonders beim Bergwandern», so der Schweizer Alpen-Club. In Tirol in Österreich mussten die Bergretter seit Anfang Mai 2025 schon rund 700 Mal ausrücken. Österreichweit gibt es mehr als 13.000 ehrenamtliche Bergretter.

Viele Berggänger nähmen zu viel Gepäck mit, sagt der Leiter der Alpinpolizei Tirol, Viktor Horvath. Je größer und schwerer der Rucksack, desto leichter verliert der Träger das Gleichgewicht, kann stolpern und umso früher erschöpft er.

Unter Umständen bleiben gerettete Berggänger auf hohen Kosten sitzen - je nach Versicherung und Lage des Falles. «Speziell, wenn der Hubschrauber unterwegs ist, können die Kosten schnell mehrere tausend Euro pro Einsatz betragen», sagt Ampenberger von der Bergwacht Bayern.

Einige krasse Fälle

2025: Im Juli versteigt sich ein Bergsteiger - alleine unangeseilt unterwegs - im Nebel auf dem Weg zur Zugspitze. Er gerät in steiles Gelände und stürzt zehn Meter kopfüber in eine Gletscherspalte. Nur, weil gerade der Nebel aufreißt und aus der Ferne ein anderer Bergsteiger den Mann in der Spalte verschwinden sieht und die Bergwacht alarmiert, kann er gerettet werden.

2025: Im Montafon in Österreich will eine 48-Jährige mit ihrer 13 Jahre alten Tochter einen Klettersteig absolvieren. Beide sind laut Polizei völlig unerfahren. Nach mehreren Stunden haben sie gerade einmal 100 Höhenmeter geschafft, kommen nicht mehr weiter und geraten in Bergnot.

2025: Auf der Monte Rosa Hütte auf 2883 Metern bei Zermatt in der Schweiz macht Lehner sich Sorgen um einen vermissten Vater mit zwei Kindern. «Wir haben ihn mit Ferngläsern entdeckt, kontaktiert und Hilfe angeboten, aber er wollte nicht», berichtet er. Völlig erschöpft kommen Vater und Kinder, etwa acht und zwölf Jahre alt, nach zwölf statt der üblichen vier Stunden Aufstieg an. Der Vater will tags darauf mit den Kindern auf demselben Weg wieder absteigen. «Ich habe ihm gesagt: Sie können alleine gehen, für die Kinder bestelle ich den Hubschrauber», sagt Lehner.

2022: Ein Mann baumelt am Matterhorn stundenlang über Kopf am Seil. Mit Lauf- statt Bergschuhen und leicht bekleidet ist er auf 4200 Meter gestürzt. Für eine Rettung ist es in der Nacht zu windig und zu nebelig. Am nächsten Morgen kann ein Retter den Mann bergen - mit Seil an einem Hubschrauber.

2022: 99 Schüler und acht Lehrkräfte aus dem Raum Ludwigshafen müssen im Kleinwalsertal in Österreich teils per Hubschrauber aus Bergnot gerettet werden. Sie wollten ohne passende Schuhe und Bekleidung über den schmalen, 1794 Meter hohen Heuberggrat. Ein Lehrer hatte die Route im Internet ausgesucht, die sich als viel zu schwer erwies.

2020: Eine Frau will von der Monte Rosa Hütte aus in kurzer Hose über einen Gletscher gehen. «Wir haben sie gewarnt, man soll nie alleine über einen Gletscher gehen, da gibt es zu viele Spalten», sagt Lehner. Prompt stürzt die Frau 20 Meter in eine Spalte. Erst zwei Tage später hört eine Bergsteigergruppe zufällig ihre Hilferufe. «Wir haben sie gerettet, ein Wunder, dass sie überlebt hat», sagt der Bergführer.

Bei Bergrettungen entstehen schnell Kosten von tausenden Euro. (Archivbild), © Matthias Bein/dpa
Bergretter geraten bei Rettungen manchmal selbst in Lebensgefahr (Archivbild), © Peter Kneffel/dpa
Bergretter sind oft unter widrigsten Wetterbedingungen im Einsatz (Archivbild), © Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa
Am Klettersteig gehören festes Schuhwerk, Helm, Gurt und Klettersteigset zur Ausrüstung.  , © Sabine Dobel/dpa
Auf dem Gletscher sind Bergsteiger angeseilt unterwegs - andernfalls drohen gefährliche Stürze in Gletscherspalten., © Sabine Dobel/dpa
Auf Gletschern bedeuten Spalten eine besondere Gefahr. , © Sabine Dobel/dpa

© dpa-infocom, dpa:250729-930-850631/1