Bundesregierung startet Luftbrücke für Gaza
29.07.2025
Angesichts der katastrophalen humanitären Lage im abgeriegelten Gazastreifen startet Deutschland zusammen mit Jordanien eine Luftbrücke zur Versorgung der Menschen mit Hilfsgütern. Bundeskanzler Friedrich Merz drohte Israel zugleich erstmals mit konkreten Maßnahmen, sollte das Land die humanitäre Lage in dem Kriegsgebiet nicht schnell verbessern. Auch US-Präsident Donald Trump forderte den Verbündeten auf, die Bevölkerung in Gaza mit Lebensmitteln zu versorgen.
«Ich möchte, dass sie dafür sorgen, dass sie das Essen bekommen. Ich will, dass sie das Essen bekommen», entgegnete Trump bei einem Besuch in Schottland auf die Frage, was er beim nächsten Gespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu besprechen werde. Auf die Frage, welche Verantwortung Israel dafür trage, dass die Hilfslieferungen die Menschen in Gaza erreichen, antwortete Trump: «Israel trägt eine große Verantwortung.»
Netanjahu: Lage im Gazastreifen schwierig
Netanjahu erklärte derweil, sein Land werde weiterhin mit internationalen Organisationen sowie den USA und europäischen Staaten zusammenarbeiten, «um sicherzustellen, dass große Mengen humanitärer Hilfe in den Gazastreifen fließen». Zugleich betonte der Regierungschef in einer Mitteilung seines Büros: «Während die Lage im Gazastreifen schwierig ist und Israel sich bemüht, die Lieferung von Hilfsgütern sicherzustellen, profitiert die (islamistische Terrororganisation) Hamas von dem Versuch, den Eindruck einer humanitären Krise zu schüren.»
Israel bestreitet, dass es im Gazastreifen eine Hungerkatastrophe gibt. Dagegen erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Unterernährung unter den rund zwei Millionen Bewohnern habe «alarmierende Ausmaße» erreicht. Israel macht UN-Organisationen und die Hamas für Probleme bei der Verteilung von Hilfsgütern verantwortlich.
Am Sonntag ließ Israel erstmals seit Monaten die Einfuhr größerer Mengen von Hilfslieferungen zu. Nach israelischen Angaben wurden am Montag den zweiten Tag in Folge Lebensmittel abgeworfen. Deutschland will seine Luftbrücke mit Jordanien nach Merz' Worten nun umgehend starten.
Helfer halten Luftbrücke für ineffektiv und teuer
Mit wie vielen Flugzeugen sich die Bundeswehr beteiligen wird, blieb zunächst offen. Details dürfte es heute beim Besuch des jordanischen Königs Abdullah II. in Berlin geben. Helfer halten den Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft wegen der relativ geringen Mengen für ineffektiv und auch teuer, etwa im Vergleich zu Lastwagentransporten. Außerdem könnten Menschen am Boden durch die Paletten verletzt werden. «Humanitäre Hilfsgüter aus der Luft abzuwerfen ist eine sinnlose Initiative, die nach Zynismus riecht», sagte Jean Guy Vataux, der Notfallkoordinator der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen.
Merz sagte, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) werde den Aufbau der Luftbrücke vorbereiten und sich dabei eng mit Frankreich und Großbritannien abstimmen, die ebenfalls zu einer Beteiligung bereit seien. «Wir wissen, dass das für die Menschen in Gaza nur eine ganz kleine Hilfe sein kann. Aber immerhin ist es ein Beitrag, den wir gerne leisten wollen», sagte der Kanzler.
EU-Kommission schlägt Sanktionen gegen Israel vor
Sollte Israel die humanitäre Lage nicht schnell verbessern, will Merz weitere Maßnahmen ergreifen. Man habe zwar zunächst keine Beschlüsse dazu gefasst, sagte er nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts. «Wir behalten uns aber solche Schritte vor.» Welche Maßnahmen infrage kommen, sagte Merz nicht.
Die EU-Kommission empfahl den Mitgliedstaaten, die Teilnahme Israels am Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe teilweise auszusetzen. In Brüssel wurde erwartet, dass sich der Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten bei der EU bereits heute mit dem Vorschlag beschäftigt und über das weitere Vorgehen berät.
Das israelische Außenministerium bezeichnete die Sanktionsempfehlung in einer ersten Reaktion als «fehlerhaft, bedauerlich und ungerechtfertigt». In einer Zeit, in der Israel gegen den Terrorismus der Hamas kämpfe, diene eine solche Entscheidung nur dazu, die Hamas zu stärken. Israel werde sich darum bemühen, dass die Empfehlung vom EU-Ministerrat nicht angenommen werde.
Netanjahu beharrt auf Kriegszielen
Israels Regierungschef Netanjahu beharrt trotz der immer lauter werdenden Aufrufe zur Beendigung des Kriegs auf einer kompletten Zerschlagung der Hamas. Israel habe zwei Aufgaben zu erledigen, sagte Netanjahu beim Besuch des Hauptquartiers des militärischen Geheimdienstes: die Zerstörung der Palästinenserorganisation sowie die Befreiung aller noch in Gaza verbliebenen Geiseln. «Wir geben das keine Minute lang auf. Das sind zwei miteinander verflochtene Ziele», betonte Netanjahu.
Einer laufenden UN-Konferenz in New York zur Verwirklichung einer Zweistaatenlösung bleiben Vertreter Israels und der USA demonstrativ fern. Die zweitägige Konferenz hatte am Montag mit deutlicher Kritik zahlreicher Länder an Israel begonnen. «Es handelt sich um einen PR-Stunt, der mitten in den heiklen diplomatischen Bemühungen um eine Beendigung des Konflikts (zwischen Israel und den Palästinensern) stattfindet», kommentierte das US-Außenministerium in Washington. Eine Zweistaatenlösung bedeutet, dass Israel und ein unabhängiger Palästinenserstaat friedlich Seite an Seite existieren.
Frankreich, das die Anerkennung Palästinas als Staat in der vergangenen Woche angekündigt hatte, richtet die Konferenz bei den Vereinten Nationen gemeinsam mit Saudi-Arabien aus. Fortschritte werden nicht erwartet. UN-Generalsekretär António Guterres sagte, der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern könne zwar mit politischem Willen und mutiger Führung gelöst werden, die Wahrheit sei jedoch: «Wir stehen am Rande des Zusammenbruchs. Die Zweistaatenlösung ist weiter entfernt als je zuvor.»
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