Asylverfahren auslagern? Gerichtshof verschärft Bedingungen
01.08.2025
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat Leitplanken für das italienische «Albanien-Modell» zu beschleunigten Asylverfahren im Ausland aufgestellt. Das Prestigeprojekt der Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist umstritten. Welche Bedeutung hat die Entscheidung des höchsten europäischen Gerichts? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was entschied das Gericht?
In dem Prozess ging es darum, unter welchen Voraussetzungen EU-Mitgliedstaaten Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer einstufen dürfen. Im konkreten Fall bestimmte Italien unter anderem Bangladesch als sicheren Herkunftsstaat. Das höchste europäische Gericht hat nun geklärt: Mitgliedsstaaten können nach EU-Recht eine solche Einstufung selbst treffen, sie müssen aber die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen - damit diese gerichtlich überprüfbar ist.
Außerdem entschieden die Richterinnen und Richter in Luxemburg, dass - zumindest bis zum Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung - ein Land kein «sicherer» Herkunftsstaat sei, wenn bestimmte Personengruppen, etwa homosexuelle Menschen, dort nicht sicher sind.
Was bedeutet das Urteil für Deutschland?
Auch die Bundesrepublik hat eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Sie umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und den Senegal. «Das Urteil ist auch für Deutschland wegweisend, denn die europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier», sagt Migrationsrechts-Expertin Pauline Endres de Oliveira.
Das für das Thema zuständige Bundesinnenministerium sagte zunächst nichts zu konkreten Auswirkungen des Urteils für Deutschland. Man werde die Entscheidung des EuGH auswerten, teilte ein Sprecher mit. Er verwies darauf, dass man bereits die Gründe für eine Einstufung eines Herkunftsstaates als sicher offenlege und Deutschland grundsätzlich Staaten nur dann so einstufe, wenn dort die Bevölkerung als sicher gelte.
Vor kurzem brachte das schwarz-rote Kabinett außerdem eine Reform auf den Weg, um sichere Herkunftsstaaten per Verordnung festlegen zu können - ohne Beteiligung des Parlaments und Bundesrats.
Was haben die Länder-Listen mit dem «Albanien-Modell» zu tun?
Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung des «Albanien-Modells». Hintergrund ist, dass die EU-Mitgliedstaaten den Schutzstatus bei Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, in einem Schnellverfahren prüfen können.
Solche Verfahren will Italien außerhalb der EU durchführen, konkret in Albanien. Der EuGH klärte also nur eine Teilfrage des Modells und steckte Rahmenbedingungen für die Prüfung von Asylanträgen von Mittelmeer-Migranten außerhalb der EU ab.
Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem «Albanien-Modell» weitergehen kann, ist laut Rechtsexpertin Endres de Oliveira unklar. «Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim "Italien-Albanien-Modell" im Raum stehen», erklärt die Professorin der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert werden – und es sei kein Haftgrund, einen Asylantrag zu stellen.
Wie reagierte die italienische Regierung?
Das Urteil stieß in Italien auf scharfe Kritik. Die Entscheidung sei überraschend und schränke den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum der Regierungen weiter ein, sagte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. «Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.» Die Justiz - diesmal die europäische - beanspruche Zuständigkeiten, «die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt», teilte die Chefin der rechten Regierungspartei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) mit. Demnach gibt das Urteil Einschätzungen einzelner nationaler Richter, die sich auch auf private Quellen stützen könnten, Vorrang vor der Bewertung durch Fachministerien und Parlament.
Wie funktioniert das italienische Modell genau?
Italien hat mit Albanien eine Vereinbarung geschlossen über die Prüfung von Asylanträgen auf albanischem Territorium, aber nach italienischem Recht. Dafür wurden zwei Lager in Albanien gebaut, in denen italienische Beamte über Asylanträge von Migranten entscheiden sollen, die auf dem Weg nach Europa auf dem Mittelmeer gestoppt wurden. Das betrifft aber nur Migranten, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und die volljährig und männlich sind - Frauen und Minderjährige sind ausgeschlossen. Während der Antragsprüfung sollen die Bewerber die Lager in Albanien nicht verlassen. Nur wenn ihr Asylantrag erfolgreich ist, dürfen sie nach Italien.
Das Modell funktionierte bislang nicht: Die italienische Justiz stoppte die Pläne der rechten Regierungskoalition.
Was passiert aktuell mit den Lagern in Albanien?
Nach den Niederlagen vor italienischen Gerichten verabschiedete Melonis Koalition im März einen neuen Erlass, wonach abgelehnte Asylbewerber in Albanien untergebracht werden können, während sie auf die Abschiebung warten. Damit erweiterte sie die Nutzungsmöglichkeit der Lager. Im April wurden erstmals abgelehnte Asylbewerber in die Einrichtung im nordalbanischen Gjader überstellt.
Davor standen die Einrichtungen meist leer und wurden vor allem von Beamten genutzt. Seit der Einführung der neuen Nutzungsoption passierten laut der Zeitschrift «Altreconomia», die sich auf Daten des italienischen Innenministeriums beruft, bis Ende Juni rund 110 Menschen die Zentren. Das Innenministerium antwortete bisher nicht auf die Anfrage dazu, wie viele Menschen sich derzeit in den Einrichtungen aufhalten.
Wie steht die EU zu dem Modell?
Das italienische Abkommen mit Albanien wurde in mehreren EU-Staaten aufmerksam verfolgt – nicht zuletzt, weil sich einige Regierungen ähnliche Modelle vorstellen könnten. Dänemark etwa zeigte früh Interesse an Asylverfahren in Drittstaaten.
Eine neue Regelung in der EU sieht vor, dass künftig Staaten auch unter Ausnahmen von Personengruppen sowie bestimmter Regionen insgesamt als sicheres Herkunftsland eingestuft werden dürfen. Die Bestimmung ist Teil der großen EU-Asylrechtsreform, die ab Juni 2026 gilt. Es stehe der EU frei, den Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Bestimmung vorzuverlegen, merkte das Gericht in Luxemburg an. Einen solchen Vorschlag machte die EU-Kommission im April. Demnach sollen Mitgliedstaaten sichere Herkunftsländer mit den genannten Ausnahmen benennen können. Noch müssen dem Vorschlag das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union zustimmen. Bis dahin gilt altes EU-Recht - und die Auslegung des Gerichts.
Zusätzlich schlug die Europäische Kommission im April eine EU-Liste sicherer Herkunftsländer vor. Bei Antragstellern aus dem Kosovo, Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien sollen demnach Asylverfahren schneller werden. Dem Vorschlag müssen noch das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union zustimmen.
Welchen Unterschied gibt es zu Rückführungszentren?
Mehrere EU-Staaten sprechen aktuell über die Idee, bereits endgültig abgelehnte Asylbewerber in Drittstaaten außerhalb Europas unterzubringen - in sogenannten Rückführungszentren. Deutschlands Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) bestätigte zuletzt dieses Ziel. Die EU-Kommission hat dazu ein Gesetz vorgeschlagen, die EU-Staaten und das Parlament müssen noch verhandeln. Nach dem ursprünglichen «Albanien-Modell» soll aber schon die Antragsprüfung im Ausland stattfinden.
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