Pogacar bricht ein - Vingegaard dominiert die Tour
Mit leerem Blick und weit aufgerissenem Trikot quälte sich Tadej Pogacar die steile Schlussrampe auf dem Flughafen von Courchevel in Schlangenlinien hinauf.
Sein Traum vom Sieg bei der Tour de France war da längst zerplatzt, der zweimalige Champion erlitt auf der Königsetappe die bitterste Niederlage seiner Karriere. Satte 7:35 Minuten liegt der Slowene nun hinter Spitzenreiter Jonas Vingegaard, den auf den letzten vier Etappen nur noch ein Sturz stoppen kann.
«Ich kann nicht mehr. Ich bin tot», funkte Pogacar am brutalen, 28 Kilometer langen Col de la Loze zur Team-Leitung. Der schwerste Abschnitt auf dem bis zu 24 Prozent steilen Alpen-Monster war da noch lange nicht erreicht. Etwa 15 Kilometer waren es noch ins Ziel, sein Kontrahent Vingegaard beschleunigte umgehend. Selbst ein den Weg blockierendes Motorrad konnte den Dänen auf dem Weg zum 2304 Meter hohen Dach der Tour nicht stoppen.
Etappe beginnt mit Missgeschick für Pogacar
Nach dem Zeitfahren tags zuvor entschied der 24-Jährige das nächste Kräftemessen für sich. Innerhalb von nur zwei Tagen ist aus der spannendsten Tour seit Jahrzehnten eine One-Man-Show des schmächtigen Mannes aus Jütland geworden. Dessen Sportchef stapelte auf dem 2000 Meter hohen Flughafen noch tief. «Es kann alles passieren. Es kann sein, dass Jonas morgen auf der Nase liegt und dann ist alles futsch», sagte Grischa Niermann der ARD. «Unter normalen Umständen sollte das aber funktionieren.»
Die brutale Etappe mit 5400 Höhenmetern und vier Bergen begann für Pogacar schon mit einem Missgeschick. Nach 17 Kilometern stürzte der 24-Jährige, zog sich blutende Wunden am linken Knie und Ellenbogen zu. Zunächst schien es nicht so, als sei Pogacar davon beeinträchtigt. Das Tempo im Feld bestimmte das Jumbo-Team von Vingegaard, Pogacar wich ihm nicht von der Seite.
Prudhomme versteht Zweifel
Das schier unglaubliche Zeitfahren von Vingegaard, als er Pogacar um 1:38 Minuten distanzierte und seinen Teamkollegen Wout van Aert um fast drei Minuten, sorgte auch am Tag danach für Diskussionen. So eine Dominanz weckt im Radsport aufgrund der Vergangenheit Skepsis.
Das Tour-Organ «L'Équipe» titelte zu einem Foto von Vingegaard «Von einem anderen Planeten». Selbst Tour-Direktor Christian Prudhomme sah sich veranlasst, einen Kommentar abzugeben. «Die Fragen zu den verschiedenen Verdächtigungen sind absolut nicht unberechtigt», sagte der 62-Jährige der Zeitung. Vor wenigen Tagen hatte Vingegaard selbst gesagt, dass er die Skeptiker verstehen könne. Er betonte, dass er nichts nehmen würde und seine Siege nie aberkannt würden.
Bauhaus muss aufgeben
Deutlich zu viel waren die Strapazen letztlich für Phil Bauhaus. Der Sprinter war schon nach dem ersten Berg vom Rest des Feldes abgehängt, fuhr allein vor dem Besenwagen. Etwa 105 Kilometer vor dem Ziel gab der Bocholter schließlich auf. Bauhaus hatte in den Massensprints der Tour mit einem zweiten und zwei dritten Plätzen auf sich aufmerksam gemacht.
«Wenn ich rausfalle, wird es schwer», hatte Bauhaus bereits vor der Etappe mit Blick auf das Gruppetto gesagt. In dieser Gruppe schließen sich in den Bergen die Sprinter zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Nach dem Einzelzeitfahren am Dienstag klagte Bauhaus bereits über große Müdigkeit und meinte: «Die Tour ist bisher mit Abstand das Schwerste, was ich bisher gemacht habe.»
Am Donnerstag hätte der 28-Jährige wieder eine Chance auf ein gutes Ergebnis bekommen. Die 184,9 Kilometer von Moutiers nach Bourg-en-Bresse weisen nur zwei kleine Anstiege der vierten Kategorie auf, insgesamt werden nur 1200 Höhenmeter eingesammelt. Der Belgier Jasper Philipsen wird auf seinen fünften Etappensieg bei der diesjährigen Tour hoffen.
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