Füchse Berlin im Meisterrausch: «Wir sind nicht fertig»
09.06.2025
Diese Handball-Party war selbst für Berliner Verhältnisse speziell. Bier schwappte im Minutentakt in den Himmel, Ballermann-Hymnen dröhnten über die Spree und ein Badeschiff verwandelte sich in ein schwankendes Tollhaus. Die Füchse Berlin feierten ihren historischen Meistertitel wie eine Mischung aus Karneval, Schlagerfestival und Klassenfahrt.
Rund 2.000 Fans tanzten mit ihren Handball-Helden durch die Nacht, während über ihren Köpfen das Feuerwerk explodierte. Im Scheinwerferlicht glitzerte die in Bier ertränkte Meisterschale. Aus den Boxen dröhnte «Anton aus Tirol», dann fing Rückraumspieler Matthes Langhoff plötzlich an, zu Beatboxen.
Kreisläufer Mijajlo Marsenic brachte das Chaos schließlich auf den Punkt. «Es ist schwierig zu sagen, weil wir alle betrunken sind», brüllte er ins Mikrofon. Wer in die Gesichter auf der Bühne blickte, wusste, der Serbe hatte recht.
Am Tag danach blickte Füchse-Boss Bob Hanning mit etwas Sorge zurück auf die Partynacht. Mit Ausnahme von ihm hätten alle «einen gewissen Promillegrad» gehabt. «Es war so kalt und sie haben sich mit Bier übergossen. Da habe ich gesagt: Die kommen Mittwoch alle krank wieder zum Training. Ich hoffe, dass wir das einigermaßen überstanden haben die Feierei», sagte Hanning in seiner «Kicker»-Kolumne.
Saisonfinale wie «60 Minuten auf dem Zahnarztstuhl bei Voll-OP»
Die Kabinenparty nach dem nervenaufreibenden 38:33-Sieg bei den Rhein-Neckar Löwen sowie der feuchtfröhliche Rückflug hatten früh erste Spuren hinterlassen. «Heute können die Jungs machen, was sie wollen», kündigte Jaron Siewert an und stellte seinen Schützlingen sogar freie Tage in Aussicht. «Es hängt davon ab, wie ich mich morgen fühle», sagte der mit 31 Jahren jüngste Meistertrainer der HBL-Geschichte. Prompt bekam er von Marsenic ein Bier gereicht.
Nach einer der spannendsten Spielzeiten jemals lagen die Hauptstädter nur einen Punkt vor dem SC Magdeburg. Dabei sah es im Saisonfinale und einem zwischenzeitlichen Fünf-Tore-Rückstand lange nach einem Totalausfall aus. «Es war wie 60 Minuten auf dem Zahnarztstuhl bei Voll-OP ohne Spritze», rekapitulierte Hanning.
Gidsel: «Jetzt sind wir da»
Wer über die Vollendung des Berliner Lebenstraums spricht, kommt an Welthandballer Mathias Gidsel nicht vorbei. Jener Ausnahmespieler, der sich als «einfacher Junge aus Dänemark» bezeichnet. «Klar ist er der Spieler der Saison. Er macht uns alle besser», schwärmte Hanning über seinen äußerlich unscheinbaren Erfolgsgaranten.
Gidsel weiß, wie gut er ist. Das viele Lob seiner Kollegen ist ihm unangenehm. Der schlaksige Däne redet lieber über die Qualitäten seiner jungen Mitspieler. «Ich bin stolzer auf sie als auf mich. Diese Jungs sind unfassbar und sie sind auch die besten Spieler der Welt», stellte der Olympiasieger klar.
2022 kam Gidsel nach Berlin. Bei seiner Vertragsverlängerung im Winter bis 2029 hatten die Berliner ihrem Superstar das Versprechen gegeben, die Mannschaft in den nächsten Jahren zu einer Titelmannschaft zu formen. «Dass es so schnell geht, habe ich nicht gedacht. Jetzt sind wir da», konstatierte der Skandinavier und vermutete: «Jetzt wird alles einfacher.»
Ein Aufkleber im Paninialbum fehlt noch
Was Gidsel meint: Der Druck ist weg. Zum richtigen Zeitpunkt, denn am Wochenende winkt in der Champions League der nächste mögliche Triumph. Berlin trifft im Halbfinale auf HBC Nantes, Magdeburg bekommt es mit dem Rekordsieger FC Barcelona zu tun. «Dann ist der Fokus, das Panini-Album vollzumachen. Da fehlt noch ein Aufkleber», sagte Hanning.
Warum nicht auch Europas Handball-Krone aufsetzen? «In der Form, in der wir gerade sind, sind wir die beste Mannschaft der Welt», sagte Routinier Fabian Wiede in Richtung der drei Konkurrenten. Und auch Marsenic ist sich sicher: «Wir sind noch nicht fertig.»
Die Mischung macht's
Mit dem historischen HBL-Titel verwirklichte Hanning sein Lebenswerk. Seit zwei Jahrzehnten zieht der frühere Vizepräsident des Deutschen Handballbundes die Fäden in Berlin und formte den Zweitligisten zu dem derzeit besten deutschen Handball-Team - und zwar mit einer Mischung aus Weltstars und talentierten Eigengewächsen.
Gegen die Löwen waren laut Sportvorstand Stefan Kretzschmar sieben Berliner Spieler aus der eigenen Akademie auf dem Parkett - von Nils Lichtlein über Matthes Langhoff bis Tim Freihöfer. Sie alle gehören schon jetzt zu den besten Spielern auf ihrer Position. Ein beängstigendes Signal für die Konkurrenz. Für die Füchse ein Faktor, der titelreiche Jahre verspricht. Auch Hanning ist davon überzeugt: «Denn die Jungen werden nicht schlechter. Die werden noch viel besser.»
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