175 Jahre Geislinger Steige: Meisterwerk der Ingenieurskunst
18.06.2025
Seit ihrer Eröffnung im Jahr 1850 prägt die Bahnstrecke Geislinger Steige das Erscheinungsbild der Fünftälerstadt Geislingen (Kreis Göppingen) am Albaufstieg. Sie gilt als einer der ersten Gebirgsquerungen einer Eisenbahn in Kontinentaleuropa. Die Geislinger Steige als Eisenbahnlinie ist laut dem Geislinger Stadtarchiv auch Ursache dafür, dass das Statistische Landesamt die Namensergänzung «an der Steige» für den Geislinger Gemeindenamen am 24. März 1952 festlegte. Der 175. Geburtstag wird am 28. und 29. Juni aufwendig feiert.
Eine der steilsten Bahnstrecken Europas
Die Geislinger Steige überwindet den Höhenunterschied zwischen Geislingen und der Schwäbischen Alb. Die Steige zwischen Geislingen und Amstetten (Alb-Donau-Kreis) ist mit einer Steigung von 22,5 Promille eine der steilsten Bahnstrecken Europas. Züge müssen auf der rund 5,7 Kilometer langen Strecke einen Höhenunterschied von 112 Metern überwinden.
Die maximale Steigung war so gewählt, dass die damals leistungsstärksten Lokomotiven den Streckenabschnitt der Steige ohne zeitraubende und betriebsbehindernde Ergänzungen wie Zahnstangen, Seilzüge oder Spitzkehren passieren konnten. Der Bau, an dem etwa 3000 Arbeiter mitwirkten, begann 1847. Die Strecke wurde am 29. Juni 1850 eröffnet. In den ersten Jahren wurde noch eine Schublokomotive eingesetzt - teilweise ist das immer noch so. «Heutzutage müssen immer noch schwerere Güterzüge nachgeschoben werden», sagt Stadtarchivar Philipp Lintner.
Bau war riesige Herausforderung
Zum damaligen Zeitpunkt zählte das Städtchen Geislingen gerade mal 2.345 Einwohner. Es war laut dem Stadtarchiv eine riesige Herausforderung, im Umfeld der Stadt das Heer der Eisenbahnarbeiter zu beherbergen, zu verpflegen, mit Werkzeugen auszustatten und unter ihnen für Ruhe und Ordnung zu sorgen. «Eine nicht einfache Aufgabe, angesichts der Hungerjahre 1846/47.»
Aus Fremdenbüchern geht hervor, dass die meisten Arbeiter aus dem damaligen Württemberg kamen, einige reisten auch aus Bayern, Österreich und der Schweiz an, wie Lintner erzählt. Sie seien privat untergebracht worden. Das System: Hire and Fire (einstellen und entlassen), es habe keine Arbeitsschutzbestimmungen gegeben. Die Arbeiten seien gefährlich gewesen durch die Lage am Hang - Sprengungen liefen ohne Sicherungsmaßnahmen ab. «Und natürlich war es eine schwere körperliche Arbeit mit Hacke und Schaufel», sagte Lintner. Heute leben in der großen Kreisstadt Geislingen rund 27.000 Einwohner.
Fabriken sprossen aus dem Boden
Der Bau der neuen Eisenbahnstrecke verhalf Geislingen und der Region zu einer ausgeprägten wirtschaftlichen Entwicklung. Denn nur mit Hilfe der Eisenbahn war der Warentransport zu den Märkten gewährleistet. Entlang des Filstals entstanden Fabriken, die Tausende von Leuten beschäftigten und damit tausenden von Familien ein Auskommen bescherten. In Geislingen wuchsen laut Stadtarchiv aus anfänglich kleinen Familienbetrieben innerhalb zweier Generationen großindustrielle Aktienbetriebe, die mehrere tausend Beschäftigte hatten.
So entstand aus der 1850 gegründeten Maschinenfabrik Straub & Sohn 1883 die Maschinenfabrik AG, in der Turbinenbau vorherrschte und die ab 1929 in der heutigen Heidelberger Druckmaschinen AG in Amstetten aufgegangen ist. Aus der 1853 gegründeten ehemaligen Plaquéfabrik Straub & Schweizer erwuchs im Zusammenschluss mit der Versilberungsfabrik Ritter & Co. aus Esslingen im Jahre 1880 die Württembergische Metallwarenfabrik AG (WMF), die bis heute der größte Arbeitgeber im Filstal ist.
Geislinger Steige trotz der Neubaustrecke wichtig
Zwar verkürzt die 2022 eröffnete Neubaustrecke Stuttgart-Ulm die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm erheblich und schafft zusätzliche Kapazitäten, wie das Verkehrsministerium schreibt. «Doch im Regionalverkehr behält die alte Strecke große Bedeutung. Ohne diese wäre die bestehende Verbindung durch zusätzliche Trassenanforderungen des Fern- und Güterverkehrs stark belastet.» Die Bestandsstrecke ermögliche eine flexible Nutzung für regionale Verbindungen, die durch die zusätzlichen Kapazitäten der Neubaustrecke ergänzt werden könnten.
Die Geislinger Steige und die Filstalbahn nach Stuttgart sowie die Schnellfahrtstrecke Wendlingen-Ulm gehören zu den wichtigsten Regionalverkehrsachsen in Baden-Württemberg. So verbindet die Regionalexpress-Linie 5 Stuttgart mit dem Bodensee und nutzt dabei die Geislinger Steige. Beide Strecken werden zudem auch für Direktverbindungen zwischen Karlsruhe und Ulm genutzt.
Steige vor allem für Güterverkehr wichtig
Für den Güterverkehr sei die alte Strecke über die Geislinger Steige von erheblichem Vorteil, sagt das Verkehrsministerium. «Sie erlaubt den Transport schwerer Güterzüge über den gesamten Tag hinweg, während die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm nur Züge mit einem maximalen Gesamtgewicht von 1.050 Tonnen (brutto) aufnehmen kann.» Wegen der starken Steigung und der hohen Betriebskosten auf der Neubaustrecke bleibe die alte Trasse die wirtschaftlich sinnvollere Option.
Für 2025 seien täglich rund 80 Güterzüge auf der Geislinger Steige vorgesehen, während die Neubaustrecke aufgrund ihrer technischen Einschränkungen und geringeren Nachfrage nur etwa 16 Güterzüge pro Nacht aufnehmen solle. «Langfristig werde der Großteil des Güterverkehrs weiterhin über die Geislinger Steige abgewickelt», sagte ein Ministeriumssprecher.
Festwochenende mit seltenen Loks
An dem Festwochenende sollen Eisenbahnliebhaber mit nostalgischen Fahrten in historischen Dampfzügen auf ihre Kosten kommen. Für die Fahrten werden laut Stadt etwa die Dampfloks 58 311 (Baujahr 1921) und 97 501 (Baujahr 1922) sowie die Elektrolok E94 088 (Baujahr 1943) eingesetzt. Die Baureihe E94 ist unter den Namen «Deutsches Krokodil» bekannt - wegen des großen Vorbaus der Lok. Die Dampflok 97 501 ist laut Stadt eine der ganz wenigen erhaltenen Zahnrad-Dampfloks in Deutschland.
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