Wir geben Corona ein Gesicht
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Wir geben Corona ein Gesicht

25.02.2021

Vor gut einem Jahr hat sich das Leben von uns allen in Baden-Württemberg verändert. An der Uniklinik Tübingen wurden Ende Februar 2020 die ersten beiden Corona-Patienten aufgenommen. Noch immer kämpfen viele Menschen mit der Krankheit um Ihr Leben. Und auch wenn sich die Situation in den Krankenhäusern im Moment etwas entspannt und stabilisiert, steckt hinter jeder Zahl ein Mensch, ein Schicksal, eine Geschichte. Wenn wir in den letzten 12 Monaten eins gelernt haben, dann, dass Corona jeden von uns treffen kann. Egal, wie jung oder alt. Und: dass der Krankheitsverlauf ganz unterschiedlich sein kann. Wir haben mit Menschen gesprochen, die Corona hatten und die Krankheit gut überstanden haben.

Gundula aus Schwaikheim (64)
“Ich hatte fast abgeschlossen, und dachte, das wird mein Ende sein mit 64. Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass alles wieder gut ist.”
Manuel, Gundulas Sohn
“Ich war unfassbar traurig und hilflos. Ich dachte, was machst du jetzt, wenn sie morgen gehen würde und ich sie nicht nochmal gesehen hätte?”
Josua aus Stuttgart (27)
“Das war jeden Tag ‘ne Lotterie. Mit solchen verrücktspielenden Symptomen hatte ich es wirklich noch nie zu tun.”
Lovro aus Esslingen-Berkheim (49)
“Ich wünsche es keinem. Mich macht es wütend, wenn ich bei Facebook lese, das sei ja nicht so schlimm, stellt euch nicht so an.”
Sarina aus Deizisau (30)
“Ich bin glaube ich ganz glimpflich davongekommen. Ich lag richtig flach und hab den ganzen Tag nur geschlafen und war unglaublich schwach.”

Menschen erzählen von ihrer Corona-Erkrankung

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“Ich habe mich unwohl gefühlt und angefangen zu frösteln. Dann ging alles sehr schnell”. Als Gundula aus Schwaikheim im Rems-Murr-Kreis an COVID-19 erkrankte, traf sie die Krankheit mit voller Wucht. Ihr Fieber stieg auf 40°C, ihr war schwindelig und übel, sie hat nichts mehr gegessen und nichts getrunken. An vieles kann sich die 64-jährige gar nicht mehr erinnern: “Ich habe da richtige Lücken. Ich konnte kaum noch laufen und bin auf allen Vieren zur Toilette. Ich wollte nichts mehr sehen und hören”. Ihr Lebensgefährte fuhr sie schließlich ins Krankenhaus nach Winnenden. Gundula wurde positiv getestet und auf eine Corona-Station verlegt. “Ich konnte nicht reden oder mich groß bewegen, aber wenn ich ganz ruhig im Bett lag, hat mein Sauerstoff gereicht.”, erzählt sie. “Ich hatte fast abgeschlossen, [ich dachte,] das wird mein Ende sein mit 64”.

Dem Tod von der Schippe gesprungen

“Dann konnte sie irgendwann nicht mehr sprechen oder aufstehen. Sie konnte im Krankenhaus gar nicht mit mir telefonieren.”

Fast 2,5 Millionen Menschen haben sich in Deutschland seit Beginn der Pandemie mit Corona infiziert - in Baden-Württemberg fast 315.000. Die Krankheitsverläufe sind ganz unterschiedlich. Manche Erkrankte bekommen nur einen leichten Schnupfen, andere springen dem Tod gerade noch so von der Schippe. Etwa 8.000 Menschen sind in Baden-Württemberg an COVID-19 gestorben.

Corona belastet auch die Angehörigen. “Ich habe meine Mutter noch nie so erlebt”, sagt Gundulas Sohn Manu. An ihren Anruf kann er sich noch gut erinnern, wie sie rumdruckste und irgendwann sagte, sie hat Corona. Im Krankenhaus konnte sie schon nicht mehr mit ihm sprechen, dazu fehlte ihr die Kraft. “Ich will das fast schon gar nicht mehr aussprechen, weil ich einfach so den Gedanken hatte, was machst du jetzt, wenn sie morgen gehen würde und ich sie nicht nochmal gesehen hätte?”. Gundula hatte Glück, nach einigen Wochen ging es wieder Berg auf. Heute fühlt sie sich wieder ganz gesund: “Ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass alles wieder gut ist”.

Lotterie der Symptome

Sarina ist, wie sie sagt, “ganz glimpflich” davongekommen. Letzten März dachte sie, sie hätte wie schon öfter eine Stirnnebenhöhlenentzündung. “Ich lag richtig flach und hab den ganzen Tag nur geschlafen und war unglaublich schwach. So habe ich es noch nie erlebt”, erzählt sie. An Corona dachte die 30-jährige aus Deizisau im Kreis Esslingen damals noch nicht. Erst im Juni stellte sich durch einen Antikörpertest heraus, dass sie die Krankheit hatte. Bei Josua aus Stuttgart fing es mit leichtem Halskratzen an, am Tag darauf hatte der 27-jährige, angehende Erzieher Atemprobleme und hustete “wie ein Verrückter”. Für ihn war die Krankheit wie eine schwere Erkältung mit verrücktspielenden Symptomen: “Die Symptome waren vom einen auf den anderen Tag total verschieden. Das war jeden Tag eine Lotterie, am einen Tag gings mir etwas besser, am anderen ging es mir furchtbar. Fieber hatte ich überhaupt nicht”.

“Ich habe mal Zwiebeln angebraten und meinen Kopf über die Pfanne gehalten und nichts gerochen. Ich würde nicht mal merken, wenn auf dem Herd etwas anbrennen oder irgendwo Rauch reinziehen würde.”

Die Langzeitfolgen von Corona

Josua, Sarina und Gundula haben die Krankheit überstanden. Die Auswirkungen spüren sie aber bis heute. Als der Winter Stuttgart mit Schnee zudeckte, bauten die Kinder in Josuas Kita Schneemänner. Er selbst geriet beim Rollen der Kugeln außer Atem. Ähnlich geht es auch Gundula, ihr fielen nach fünf Monaten zudem büschelweise Haare aus. Sarina hatte nach der Erkrankung noch einige Wochen lang starke Schmerzen beim Atmen und war schnell erschöpft, mittlerweile geht es ihr besser.

Andere verlieren lange Zeit den Geruchs- und Geschmackssin, wie die 29-jährige Ramona aus Weilheim an der Teck im Landkreis Esslingen, die ebenfalls Corona hatte: “Ich rieche eher süßliche Düfte, aber herbe Düfte riech ich gar nicht. Ich habe mal Zwiebeln angebraten und meinen Kopf über die Pfanne gehalten und nichts gerochen”. Andere Betroffene haben ihr erzählt, dass es die Sinne nach einigen Wochen oder Monaten wieder kommen.

An Corona gibt es nichts zu leugnen

Dass noch immer Querdenker und Verschwörungstheoretiker die Krankheit leugnen oder verharmlosen, macht Menschen wie Lovor fassungslos. Der 49-jährige aus Esslingen Berkheim und seine Frau waren selbst an Corona erkrankt. Er hatte sich Sorgen gemacht um seinen Sohn mit einer Immunschwäche, um seine Frau, die einmal beim Frühstück eine solche Atemnot bekam, dass sie fast kollabiert wäre. Noch jetzt bekomme er Gänsehaut, wenn er an diese Ängste denke.

Zu den Zweiflern sagt er: “Ich wünsch es keinem. Jeder, der es gehabt hat, weiß von was er spricht und was er durchgemacht hat. Es gibt Leute, den es noch schlimmer geht, es gibt Leute, die gestorben sind. Irgendwann muss man aufwachen und das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Zahlen sprechen für sich. Mich macht es wütend, wenn ich bei Facebook lese, das sei ja nicht so schlimm, stellt euch nicht so an. Die Krankheit ist da und sie schlägt unerwartet zu”.

Recherche und Interviews: Isabel Haspel und Lena Schaffer, Text: Martin Heer