Unterstützung bröckelt: Verbündete frustriert mit Netanjahu
Sechs Monate nach Beginn des Gaza-Krieges sehen auch die engsten Verbündeten Israels den rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zunehmend als Belastung. Die Frustration der Partner Israels, vor allem über die Kriegsführung im Gazastreifen, wächst von Monat zu Monat.
Der tödliche Angriff auf einen Hilfskonvoi in dem Küstenstreifen - laut Armee ein tragisches Versehen - hat den Ton noch einmal rauer werden lassen. Der Israel zugeschriebene Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus schürte außerdem Ängste vor einer größeren regionalen Eskalation.
Wachsende Zahl der Gaza-Toten: Ton verschärft sich
Die US-Regierung hielt sich lange zurück mit öffentlicher Kritik am Vorgehen Israels. Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober unterstützten die Verbündeten klar das Ziel Israels, die Terrororganisation ein für alle Mal zu zerstören. Doch mit dem zunehmenden Elend im Gazastreifen und der wachsenden Zahl an toten Zivilisten änderte sich nach und nach der Ton. Auch weil mitten im US-Wahljahr innenpolitisch der Druck auf Präsident Joe Biden wächst, etwas gegen das Sterben in Gaza zu tun.
Auch die Bundesregierung hat ihre Kritik an der israelischen Militäroperation in den vergangenen Monaten Schritt für Schritt verschärft. «Die militärische Logik ist eine Erwägung, aber es gibt auch eine humanitäre Logik», mahnte Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte März bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Netanjahu nach einem Treffen in Jerusalem.
In seiner Wortwahl ist der Kanzler aber deutlich zurückhaltender als US-Präsident Joe Biden. Scholz setzt darauf, dass der israelische Ministerpräsident sich bewusst ist, was er an seinen letzten noch verbliebenen Verbündeten noch hat.
Biden und seine Regierung machen inzwischen keinen Hehl mehr aus ihrem Unverständnis für Netanjahus Art der Kriegsführung und für seinen Unwillen, sich von den Partnern in Washington und anderswo etwas sagen zu lassen. Nach dem Tod der Mitarbeiter der Organisation World Central Kitchen äußerte sich Biden «empört». Er warf Israel offen vor, humanitäre Helfer und Zivilisten generell nicht ausreichend zu schützen. Den Einwand Netanjahus, die Attacke sei keine Absicht gewesen, ließ Biden nicht gelten, sondern hielt dagegen: «Das ist kein Einzelfall.»
Sorge vor US-Verwicklung in regionaler Eskalation
Für Biden und seine Regierung geht es auch darum, nicht kurz vor der US-Präsidentenwahl als enger Verbündeter Israels selbst in einen größeren Konflikt im Nahen Osten hineingezogen zu werden. Nach dem Beginn des Gaza-Krieges nahmen die Attacken auf US-Truppen in der Region deutlich zu. Die Serie an Attacken gipfelte im Tod von drei US-Soldaten in Jordanien Ende Januar. Mehrere Vergeltungsschläge der Amerikaner sorgten vorerst für Ruhe.
Doch die US-Regierung reagierte angefasst auf den Angriff auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dieser schürt erneut Ängste vor einer größeren Eskalation. Das Pentagon machte öffentlich Israel für die Attacke verantwortlich, ohne dass sich die Israelis selbst dazu bekannten. Dass sich politische Gräben zwischen derart engen Partnern so öffentlich zeigen, ist mehr als ungewöhnlich.
Netanjahu als politische Reizfigur
Das Problem zwischen den Partnern hat viel mit der Person Netanjahu zu tun. Biden tut sich schwer mit der konfrontativen Art des Premiers und dessen hartem Kurs, auch in innenpolitischen Fragen. Dass Netanjahu nach seiner umstrittenen Justizreform nun etwa ausländische Medien ins Visier nimmt und den arabischen TV-Sender Al-Dschasira in Israel verbieten will, macht es der US-Regierung zusätzlich schwer, öffentlich zu ihm zu stehen.
Auch intern weht Netanjahu immer stärkerer Gegenwind entgegen. Die im vergangenen Jahr als Widerstand gegen die Justizreform geborenen Proteste sind zuletzt wieder mit voller Wucht ausgebrochen, nachdem sie unter dem Schock des Hamas-Massakers am 7. Oktobers zunächst ausgesetzt worden waren. Bei wütenden Protesten fordern Menschen Netanjahus Rücktritt, Neuwahlen sowie einen raschen Deal mit der Hamas über eine Freilassung der Geiseln.
Die Proteste wenden sich allerdings kaum gegen den Krieg an sich. Unter den Teilnehmern einer großen Demonstration in Jerusalem waren nach TV-Angaben auch viele Reservisten, die gerade erst von den Kämpfen im Gazastreifen zurückgekehrt waren. Eine Mehrheit der Israelis unterstützt weiter das Ziel, die Hamas zu zerstören. Eine Umfrage des Israelischen Demokratie-Instituts ergab im vergangenen Monat, dass drei Viertel der jüdischen Israelis deshalb einen Militäreinsatz in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen unterstützen.
Nach Einschätzung des israelischen Politik-Professors Jonathan Rynhold hat Netanjahu mit verschiedenen Schritten «die Unterstützung der Verbündeten Israels unnötig auf Spiel gesetzt». Der 74-Jährige habe etwa «nicht das Maximum getan, um bei der Versorgung der Palästinenser mit humanitären Gütern zu helfen». Der Grund sei, dass Netanjahu sich vor allem von innenpolitischen Erwägungen leiten lasse. Mit größeren Hilfslieferungen würde Netanjahu seine rechtsextremen Koalitionspartner, von denen sein politisches Überleben abhängt, gegen sich aufbringen, meint Rynhold. Daher habe Netanjahu beispielsweise nicht den Hafen von Aschdod für Hilfslieferungen geöffnet, obwohl so auch in den besonders von Hunger betroffenen Norden des Gazastreifens leichter Lieferungen kommen könnten.
Der Militärexperte Danny Orbach von der Hebräischen Universität in Jerusalem sagt: «Der Krieg darf nicht als Vorwand dafür dienen, Netanjahus politisches Überleben zu sichern.» Es gilt als wahrscheinlich, dass eine Neuwahl in Israel erst nach Ende des Kriegs stattfinden kann. Das Mitglied des israelischen Kriegskabinetts, Benny Gantz, rief am Mittwochabend zu einer vorgezogenen Parlamentswahl im September auf. Netanjahus konservative Likud-Partei lehnte die Forderung ab. Die Regierung werde so lange weitermachen, bis alle Kriegsziele erreicht seien. Umfragen zufolge hat Netanjahus Likud-Partei in der Wählergunst massiv verloren.
Kein Plan für die Zeit nach dem Gaza-Krieg
Ein weiteres Problem sehen beide Experten darin, dass Netanjahu sich beharrlich weigere, einen Plan für eine politische Lösung für «den Tag danach» im Gazastreifen vorzulegen. Netanjahu mache seinen Verbündeten das Leben schwer, indem er keinen Plan präsentiere, «von dem auch die Palästinenser profitieren könnten», sagt Rynhold. Wie Israel würden seine Partner gerne einen Sturz der Hamas sehen, die den verheerenden Krieg verursacht habe.
«Aber um die breitere Legitimität zu wahren, müssen sie sagen, die Hamas zu stürzen ist nicht nur gut für Israel, es wird auch gut für die Palästinenser sein», erklärt der Politik-Professor.
Der 74-jährige Netanjahu, gegen den seit Jahren ein Korruptionsprozess läuft, habe «Angst vor seinem eigenen Schatten». Er fürchte, seine rechtsextremen Partner könnten ihn fallen lassen, «wenn er irgendetwas vorschlägt, das den Palästinensern Hoffnung geben könnte». Dies sei der Grund, dass Israels Verbündete so frustriert seien.
USA würden Israel nie fallen lassen
Aber könnte es ganz zum Bruch zwischen den Partnern kommen? Nein. Die USA sind wichtigste Schutzmacht Israels und Biden hat klargemacht, dass er Israel nie im Stich lassen würde. Auch für die Bundesregierung, für die die Sicherheit Israels zur Staatsräson zählt, kommt ein Bruch mit der Regierung Netanjahus bei aller Kritik nicht infrage.
Biden hat deutlich gemacht, dass er Waffenlieferungen nie komplett stoppen oder dem Land das Raketenabwehrsystem «Iron Dome» wegnehmen würde. Aber zwischen diesem Extrem und Nichtstun gibt es durchaus Abstufungen.
Der US-Präsident hat ebenso klargemacht, dass eine großangelegte Bodenoffensive des israelischen Militärs in Rafah ohne Evakuierung der mehr als eine Million Schutzsuchenden dort eine «rote Linie» für ihn wäre. Nach dieser Ansage müsste Biden also Konsequenzen ziehen, falls Netanjahu dennoch Truppen in Rafah einmarschieren lässt, ohne Zivilisten ausreichend Schutz zu bieten.
Denkbar wäre etwa, die Lieferung von bestimmten Waffen zu beschränken, an Bedingungen zu knüpfen oder schlicht hinauszuzögern. Generell sind Rüstungsexporte eine langwierige Angelegenheit. Sie ziehen sich zum Teil über Jahre hin. Auch auf diplomatischer Ebene könnten die USA weiteren Druck machen. Die jüngste Enthaltung der Amerikaner zu einer kritischen Resolution im UN-Sicherheitsrat hat darauf einen Vorgeschmack gegeben. Experte Rynhold ist aber überzeugt, «dass die USA nie eine UN-Resolution zulassen würden, die Israel etwa mit Sanktionen belegt».
Harte Konsequenzen hätten auch den unerwünschten Nebeneffekt, den Feinden Israels, darunter die Hamas, den Eindruck zu vermitteln, dass die Welt Israel nicht mehr unterstützt. Beobachter gehen davon aus, dass die Hamas genau dies mit dem Massaker am 7. Oktober bezweckt hat.
Beschränkte Möglichkeiten Berlins
Die Möglichkeiten Deutschlands, tatsächlichen Druck auf Israel auszuüben, sind begrenzt. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung zwar Rüstungsexporte im Wert von 326,5 Millionen Euro an Israel genehmigt – den größten Teil davon nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober. Darunter waren 3000 tragbare Panzerabwehrwaffen sowie 500.000 Schuss Munition für Maschinengewehre, Maschinenpistolen oder andere voll- oder halbautomatische Schusswaffen. Mit den US-Waffenlieferungen ist das aber bei weitem nicht vergleichbar.
Es gibt allerdings ein Prestigeprojekt im Rüstungsbereich, das Israel besonders wichtig ist. Auf der Kieler Werft von ThyssenKrupp Marine Systems liegt mit der «INS Drakon» ein fast fertiggestelltes U-Boot für Israel, dessen Export die Bundesregierung bereits im Dezember genehmigt hat. Ein Auslieferungsdatum gibt es bisher nicht.
© dpa-infocom, dpa:240404-99-561917/3