Ungesetzt zum Titel: Tschechin Vondrousova gewinnt Wimbledon
Nach ihrem Überraschungscoup von Wimbledon kniete Marketa Vondrousova erst einmal auf dem heiligen Rasen und konnte ihr Glück kaum fassen.
Die unterlegene Ons Jabeur weinte dagegen bitterlich und ließ sich auch vom aufmunternden Applaus der Zuschauerinnen und Zuschauer nicht trösten. «Das ist die schmerzhafteste Niederlage meiner Karriere», sagte die Tunesierin zutiefst enttäuscht.
Zweites verlorenes Finale
Schon im vergangenen Jahr hatte sie im Endspiel gegen Jelena Rybakina aus Kasachstan verloren. Der Traum, als erste afrikanische Spielerin bei einem Grand-Slam-Turnier im Einzel den Titel zu gewinnen, blieb für Jabeur am Samstag ein weiteres Mal unerfüllt.
Vondrousova gewann dagegen als erste ungesetzte Spielerin seit Einführung des Profitennis den Tennis-Klassiker. Die 24 Jahre alte Tschechin siegte in London im Endspiel mit 6:4, 6:4 und feierte damit den ersten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere. Letztmals hatte die legendäre Billie Jean King 1963 in Wimbledon als ungesetzte Spielerin das Finale erreicht, damals aber verloren. Vondrousova verwandelte nach 1:20 Stunden ihren zweiten Matchball.
Erst Gipsarm, jetzt Wimbledon-Gewinn
«Ich weiß gar nicht, was gerade passiert», sagte Vondrousova. «Vor einem Jahr hatte ich einen Gips um den Arm, jetzt habe ich Wimbledon gewonnen.» Vondrousova hatte 2022 das Turnier wegen einer Handgelenksverletzung verpasst und war nur als Touristin nach London gereist. «Das ist unglaublich», sagte sie.
Auf der Jagd nach ihrem jeweils ersten Grand-Slam-Titel war beiden Spielerinnen die große Nervosität deutlich anzumerken. Vor den Augen von Herzogin Kate gelang Jabeur zwar ein schnelles Break. Ein Jahr nach ihrer Finalniederlage gegen Rybakina wirkte Jabeur aber zu keiner Zeit frei. Vondrousova schaffte so ein schnelles Re-Break und war insgesamt ruhiger und ausgeglichener.
Jabeur unter Druck
Jabeur wirkte dagegen völlig verkrampft. Die 28-Jährige hatte sich die erneute Finalteilnahme hart erarbeitet. Bianca Andreescu, Petra Kvitova, Titelverteidigerin Rybakina und im Halbfinale auch noch die Weltranglisten-Zweite Aryna Sabalenka - Jabeur stand vollkommen zu Recht im Endspiel. Doch der Lohn für die harte Arbeit wollte sich nicht einstellen.
Von den erfrischenden Auftritten in den Runden zuvor war nichts mehr zu sehen. Jabeur ging unter dem wegen einer Gewitterwarnung und starker Winde geschlossenen Dach des Centre Courts zwar noch einmal mit 4:2 in Führung. Doch dann machte Vondrousova vier Spiele in Serie und holte sich nach 40 Minuten den ersten Satz. 15 vermeidbare Fehler standen zu diesem Zeitpunkt für Jabeur zu Buche - viel zu viele, um in Wimbledon zu triumphieren.
Spiel für einen ganzen Kontinent
Der Druck, nicht nur für sich, sondern für ganz Afrika und die arabische Welt zu spielen, schien Jabeur zu lähmen. Immer wieder hatte sie im Vorfeld der Partie gesagt, wie viel es ihr bedeuten würde, als erste afrikanische Spielerin einen Grand-Slam-Titel im Einzel zu gewinnen. Nun schien diese Sehnsucht zu einer zu großen Last zu werden.
Denn auch im zweiten Durchgang setzte sich das Fehlerfestival weiter fort. Vondrousova hingegen begann sich immer wohler zu fühlen. Zwar ging Jabeur noch einmal mit einem Break in Führung und machte sich Hoffnung auf eine Wende. Dann zerbrach sie aber wieder am Druck und fand keinen Weg mehr. Bei der Siegerehrung weinte sie bittere Tränen. Aufgeben will sie aber nicht. «Wir werden es eines Tages schaffen. Das verspreche ich euch», sagte sie an ihr Team auf der Tribüne gerichtet.
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