Umfrage-Hoch für Freie Wähler in Bayern
Die Kritik am Umgang von Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger mit der Flugblatt-Affäre ebbt auch am dritten Tag nach der Entscheidung über seinen Verbleib im Amt nicht ab. Gleichzeitig freut sich der Freie-Wähler-Chef über einen Höhenflug seiner Partei in Umfragen im Freistaat.
Der repräsentative Wählercheck von Sat.1 Bayern und Antenne Bayern vom Umfrageinstitut GMS sah die Freien Wähler heute in der Sonntagsfrage im Land bei 16 Prozent der Stimmen - ein Plus von 4 Punkten. Der Umfragezeitraum begann am Montag, also einen Tag nach der Entscheidung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Aiwanger im Amt zu belassen.
Zuvor hatte die «Bild» berichtet, dass die Partei nach einer Erhebung des Insa-Instituts jetzt von 15 Prozent der wahlberechtigten Bayern gewählt würde - ebenfalls 4 Prozentpunkte mehr als von Insa zuletzt Ende Juli gemessen.
Reaktionen aus der Politik
«#Danke!», schrieb Aiwanger zu den Wählercheck-Ergebnissen auf X, vormals Twitter. «Normalbürgerinnen und -Bürger lassen sich eben doch nicht so leicht manipulieren», schrieb Alexander Hold, Freie-Wähler-Abgeordneter und Vizepräsident des bayerischen Landtags, mit Blick auf die Insa-Ergebnisse auf X. «Pragmatische Problemlösungen wirken, durchsichtige Kampagnen eher nicht...»
Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, sagte beim Sender «Welt-TV», das Umfrage-Hoch des Koalitionspartners in Bayern sei «in keinster Weise» beunruhigend. Im Gegenteil: «Erkennbar ist diese Koalition in einem aufwachsenden Zustand», sagte Dobrindt. Die Zuwächse der Freien Wähler in den Umfragen im Freistaat seien «auch etwas, was eben der Reaktion dieser letzten Tage geschuldet ist», sagte der CSU-Politiker. «Das hat auch damit zu tun, dass es Kritik insgesamt an der Ampel gibt, aber übrigens auch inzwischen Kritik an Medienverhalten gibt.»
Kritik an Aiwanger
Die «Jüdische Allgemeine» veröffentlichte unterdessen einen Gastkommentar des Holocaust-Überlebenden Ernst Grube, der Aiwanger wegen seines Umgangs mit der Affäre die Eignung als Vize-Ministerpräsident Bayerns absprach. Der Freie-Wähler-Chef sei nicht mehr glaubwürdig - «und nach meiner Auffassung für das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten politisch und moralisch überhaupt nicht mehr geeignet», schrieb der Präsident der Lagergemeinschaft Dachau.
Aiwanger habe in seiner Erklärung von der vergangenen Woche nur auf unübersehbare Beweise reagiert und sich für die Verletzung von Gefühlen entschuldigt. «Ich nehme ihm diese Entschuldigung überhaupt nicht ab», schrieb Grube. Seine Verwandtschaft mütterlicherseits sei von den Nazis ermordet worden. «Ich selbst habe das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt. Auch deshalb berührt mich die entstandene Debatte sehr», schrieb Grube.
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Karin Prien kritisierte das Auftreten Aiwangers ebenfalls. «Es hat mich schockiert, dass Aiwanger nach Söders Entscheidung geradezu triumphierend aufgetreten ist - anstatt, wie gefordert, Reue und Demut zu zeigen», sagte die schleswig-holsteinische Bildungsministerin der Wochenzeitung «Die Zeit». «Aiwangers dürre, geradezu unempathische Erklärung lässt mich ratlos zurück.»
Prien sprach bei der Debatte um Aiwanger von einer «Zäsur für die Erinnerungskultur in Deutschland». «Erinnerungspolitisch erleben wir in Deutschland im Moment dunkle Tage», sagte die CDU-Politikerin, die aus einer jüdischen Familie stammt. «Die Täter-Opfer-Umkehr, die er jetzt betreibt, wenn er von einer Schmutzkampagne spricht, ist wirklich verwerflich.» Es stelle sich die Frage: «Gilt weiterhin die gesellschaftliche Norm, wonach Antisemitismus in unserem Land keinen Platz hat? Ich fürchte, durch das, was wir jetzt erlebt haben, ist diese gesellschaftliche Norm verschoben worden.»
Sondersitzung am Donnerstag
Am Donnerstag wollen Grüne, SPD und FDP bei einer Sondersitzung des sogenannten Zwischenausschusses im bayerischen Landtag über die Affäre und ihre Aufarbeitung sprechen. Söder und Aiwanger sagten im Vorfeld, sie würden an der Sitzung teilnehmen.
Die CSU-Fraktion kündigte an, am Donnerstag einen Antrag zu einem klaren Bekenntnis gegen jede Form von Antisemitismus und Menschenverachtung beschließen zu wollen. «Gleichwohl ist die Entscheidung des Ministerpräsidenten, Hubert Aiwanger im Amt zu lassen, richtig und wird von der Fraktion klar mitgetragen», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer, Tobias Reiß.
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