Spionagevorwürfe gegen Ex-Wirecard-Vorstand Marsalek
Es klingt wie ein Spionage-Thriller aus der Zeit des Kalten Kriegs: Der wegen des Wirecard-Skandals gesuchte Ex-Manager Jan Marsalek soll laut britischen Ermittlern Kontaktmann für ein russisches Spionagenetzwerk in Großbritannien gewesen sein. Ziel der Operation waren demnach unter anderem Beschattung und womöglich sogar Entführung von Menschen. Das geht aus einer Mitteilung der britischen Staatsanwaltschaft CPS (Crown Prosecution Service) hervor.
Demnach soll Marsalek ab Sommer 2020 - also kurz nach seiner Flucht aus Deutschland - eine zentrale Rolle als Vermittler zwischen Moskau und einer Gruppe von Bulgaren gespielt haben, die sich als mutmaßliche russische Spione in London vor Gericht verantworten müssen. Eine erste Anhörung dazu fand heute am Westminster Crown Court in London statt. Die zwei Frauen und drei Männer, die im Februar festgenommen worden waren, streiten die Vorwürfe allesamt ab. Zu der Verschwörung zur Spionage, die ihnen angelastet wird, gehört laut Staatsanwaltschaft aber auch Marsalek.
Eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur bei Marsaleks Anwalt mit Bitte um Stellungnahme zu den Vorwürfen blieb zunächst unbeantwortet. Das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» hatte zuvor über die Vorwürfe berichtet.
Kommunikation mit Anführer mutmaßlicher Spionagezelle
Marsalek war früher Vertriebsvorstand des Finanzdienstleisters Wirecard, ist seit Sommer 2020 abgetaucht und wird in Russland vermutet. Er gilt als Hauptverdächtiger im Wirecard-Skandal - dem größten Betrugsfall in der Geschichte der Bundesrepublik.
Wie aus der CPS-Mitteilung hervorgeht, soll Marsalek dem Anführer der mutmaßlichen Spionagezelle in Großbritannien, Orlin R., Aufträge erteilt haben. Der soll die Aufgaben an die anderen mutmaßlichen Mitglieder der Spionagezelle weiterdelegiert haben. Alle fünf Beschuldigten seien für ihre Tätigkeiten bezahlt worden, hieß es in der CPS-Mitteilung weiter.
Die Ermittler werteten Chats aus dem Kurznachrichtendienst Telegram zwischen Marsalek und R. aus. Dabei soll es unter anderem um die Beschaffung von militärischer Ausrüstung für Russland, die Ausstattung mit Spionagewerkzeugen wie digitalen Geräten, Software und Hacker-Handbüchern, dem Abhören von Kommunikation und der Beschattung von Moskau unliebsamen Personen gegangen sein.
Auskundschaft für Russland relevanter Orte
Ein großer Teil der Spionageaktivitäten soll sich außerhalb Großbritanniens abgespielt haben. Neben der Beschattung von Personen soll Marsalek auch den Auftrag erteilt haben, für Russland relevante Orte wie einen Nato-Stützpunkt in Deutschland auszukundschaften. Auch die kasachische Botschaft in London soll Ziel der Bespitzelung gewesen sein.
Die Ermittler werteten unter anderem Zeugenaussagen von Personen aus, die zum Ziel der mutmaßlichen Beschattung wurden. Bei Durchsuchungen im Zusammenhang mit dem Fall wurden unter anderem eine große Zahl von gefälschten Reisepässen verschiedener europäischer Länder sichergestellt. Mehrere der Angeklagten müssen sich deswegen auch wegen Dokumentenfälschung verantworten. Gefunden wurde demnach auch «fortgeschrittene elektronische Überwachungsausrüstung».
Marsalek verantwortete bei Wirecard das Geschäft mit sogenannten Drittpartnerfirmen - externen Zahlungsdienstleistern, die im Wirecard-Auftrag Kreditkartenzahlungen überwiegend in Asien abwickelten oder abgewickelt haben sollen.
Mutmaßlicher Milliardenbetrug
Im Sommer 2020 war der damalige Dax-Konzern zusammengebrochen, weil 1,9 Milliarden Euro angeblicher Erlöse aus diesem Drittpartnergeschäft nicht auffindbar waren. Marsalek setzte sich kurz vor dem Insolvenzantrag ab.
In München läuft seit Dezember vergangenen Jahres der Strafprozess gegen den früheren Wirecard-Chef Markus Braun und zwei weitere ehemalige Konzernmanager wegen mutmaßlichen Milliardenbetrugs. Der seit über drei Jahren in Untersuchungshaft sitzende Braun hat die Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen und macht seinerseits eine Bande von Kriminellen im Unternehmen für den Skandal verantwortlich - unter maßgeblicher Beteiligung Marsaleks.
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