Prozessstart in Polizei-Affäre: Suspendierter Inspekteur vor Gericht

Prozessstart in Polizei-Affäre: Suspendierter Inspekteur vor Gericht

Weitere schmutzige Details kommen ans Licht.

21.04.2023

Heute startet der Prozess gegen den suspendierten Polizei-Inspekteur. Kurz davor kamen neue, schmutzige Details ans Licht: Er hat über mehrere Jahre Nacktbilder von sich an mehrere Polizistinnen geschickt - und zwar bereits vor seiner Amtszeit. Die FDP spricht vom "größten Personalskandal der Landesgeschichte".

Polizei-Inspekteur inzwischen suspendiert

Der inzwischen suspendierte Inspekteur der Polizei, der ab diesem Freitag wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung vor Gericht steht, hat bereits vor seiner Amtszeit über einen langen Zeitraum Nacktbilder an Polizistinnen geschickt. Er sendete einem SWR-Bericht zufolge zwischen 2018 und 2020 pornografische Handy-Bilder von sich selbst an mindestens drei Polizistinnen. Der Beschuldigte hatte sein Amt als ranghöchster Polizist des Landes im November 2020 angetreten. Zuvor war er stellvertretender Landeskriminaldirektor im Innenministerium und Vize im Landeskriminalamt.

Anonyme Anzeige 2021

Das Versenden der Nacktbilder an die drei Polizistinnen wurde de Informationen zufolge erst nach seiner Suspendierung bekannt - durch eine anonyme Anzeige im Dezember 2021. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart bestätigte am Donnerstag, dass man gegen ihn Ermittlungen wegen des Verdachts der Verbreitung pornografischer Inhalte geführt habe. Es gehe dabei um Vorgänge zwischen 2018 und 2021, sagte ein Sprecher. Diese Ermittlungen habe man aber wegen mangelnden hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Der Verdächtige soll Ermittlungen zufolge zudem im November 2021 in Stuttgart eine Polizeibeamtin sexuell belästigt haben. Die Vorwürfe gegen den vom Dienst freigestellten früheren obersten Polizisten des Landes werden ab Freitag vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt.

Vorwürfe gegen Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz

Die Opposition ist empört angesichts der Vorgänge - und sieht die Wurzel des Übels erneut in der Personalpolitik von Innenminister Thomas Strobl . Der verantworte den "größten Personalskandal der Landesgeschichte", teilte die innenpolitische Sprecherin der FDP, Julia Goll, am Donnerstag mit. "Wäre vor Personalentscheidungen sorgfältig und umfassend geprüft worden, statt dem eigenen Haus informell einen Wunschkandidaten vorzugeben, wäre den Beamtinnen und der Polizei insgesamt einiges erspart geblieben." Goll warf Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz zudem vor, das Privathandy des Inspekteurs nicht frühzeitig konfisziert zu haben. Sonst wären die Ermittlungen wegen der Nacktbilder wohl erfolgreich gewesen, meinte sie. "Es bleibt hier der Verdacht, dass sich Strobls Kamarilla gegenseitig decken oder eigene Fehler vertuschen wollte."

“Enthüllungen schreckend und widerwärtig”

Die SPD nennt die neuen Enthüllungen erschreckend und widerwärtig. SPD-Innenpolitiker Sascha Binder sprach von einer "beispiellosen Turbo-Beförderung" des Inspekteurs an die Spitze der Landespolizei. "Er war Strobls Liebling, der Innenminister wollte ihn auf Biegen und Brechen auf diesem Posten. Es stellt sich unweigerlich die Frage, wie alle Kontrollmechanismen im Innenministerium so versagen konnten."   Die Staatsanwaltschaft wirft dem Inspekteur nach früheren Angaben vor, "hierbei bewusst ausgenutzt zu haben, dass er aufgrund seiner beruflichen Stellung in der Lage war, der Polizeibeamtin im Falle des Widerstands erhebliche berufliche Nachteile zu bereiten". Sein Anwalt, Jens Rabe, hatte angekündigt, für einen Freispruch zu kämpfen. Es sei bedauerlich, dass die Staatsanwaltschaft "bei dieser Beweissituation" überhaupt Anklage erhoben habe. Mit dem Fall beschäftigt sich auch ein Untersuchungsausschuss des Landtags.

Verteidigung bezichtigt Kommissarin der Lüge

Es geht um Macht, um Sex und einen folgenreichen Kneipenbesuch: Zum Prozessauftakt wehrt sich der Beschuldigte  über seine Anwälte heftig gegen die Vorwürfe. Mit heftigen Anschuldigungen gegen die Anzeigenerstatterin hat die Verteidigung des mittlerweile suspendierten Inspekteurs der Polizei die Vorwürfe sexueller Nötigung gegen ihn zurückgewiesen. Die 34-jährige Kriminalhauptkommissarin, die den höchstrangigen Polizisten des Landes der Nötigung beschuldigt, habe in einem Lokal in der Öffentlichkeit mit ihm sexuelle Handlungen ausgeübt, Küsse ausgetauscht und viele Intimitäten, sagte die Anwältin des Polizisten heute zum Prozessauftakt. Sie bezichtigte die Anzeigenerstatterin der Lüge. Die Kommissarin ist Nebenklägerin in dem Prozess. Der Fall schlug riesige Wellen in Polizei und Politik. Die Strafkammer hat acht Verhandlungstage angesetzt.

Personalgespräch bei einer Flasche Sekt

Der Inspekteur soll die Polizistin in der Nacht vom 12. auf den 13. November 2021 bei einem Kneipenbesuch sexuell genötigt haben. Laut Anklage hätten die beiden am Nachmittag zunächst im Dienstzimmer des Inspekteurs bei einer Flasche Sekt ein Personalgespräch geführt. Nach einem abendlichen Kneipenbesuch mit Kollegen habe der Inspekteur die Kommissarin dazu bewegt, allein noch einen Absacker in einer Bar zu nehmen, so die Staatsanwältin. In den frühen Morgenstunden habe der Angeklagte die Polizistin zur Duldung und Vornahme sexueller Handlungen veranlasst. Er habe vor der Bar sein "leicht erigiertes Glied" entblößt, ihre Hand zu seinem Glied geführt und uriniert. Sie habe Ekel empfunden, sei aber aufgrund des dienstlichen Abhängigkeitsverhältnisses nicht in der Lage gewesen, sich zu widersetzen, so die Staatsanwaltschaft.

Video des Kneipenbesuchs zeigt intime Handlungen

In einer im Gerichtssaal verbreiteten Erklärung wirft die Verteidigung des Inspekteurs der 34-Jährigen nun vor, bewusst ältere, und höher gestellte Männer gesucht zu haben, um die Kontakte zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen. Sie habe zudem mehrfach gegenüber der Polizei die Unwahrheit gesagt. Auch sei auf einem dreistündigen Video aus dem Kneipenbesuch mit dem Inspekteur zu sehen, dass die Anzeigenerstatterin zahlreiche intime Handlungen eigeninitiativ ausgeübt habe. Der Angeklagte sei in dem Verfahren das Opfer, und müsse freigesprochen werden. Zunächst stritten Nebenkläger, Staatsanwaltschaft und Verteidigung am Freitag darüber, ob die Anwältin des Inspekteurs zum Prozessbeginn eine Stellungnahme vorlesen darf. Der Richter entschied sich für ein Statement unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Anschließend beantragten die Anwälte der Nebenklage, Presse und Publikum auch bei der Vernehmung der Anzeigenerstatterin auszuschließen - auch diesem Antrag wurde stattgegeben. Das Recht auf Schutz der Intimsphäre überwiege gegenüber dem Interesse der Öffentlichkeit an dem Fall. Am Nachmittag soll allerdings in öffentlicher Sitzung das Video aus dem Kneipenbesuch gezeigt werden.

Symbolbild: Shutterstock