Nord-Stream-Ermittler: Sprengstoffspuren auf Segelboot
Bei den Untersuchungen zu den Explosionen an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee haben die Ermittler Sprengstoffspuren auf einer verdächtigen Segeljacht entdeckt. Es seien Spuren von Unterwassersprengstoff gefunden worden, schrieben die UN-Botschaften Deutschlands, Dänemarks und Schwedens in einem gemeinsamen Brief an den UN-Sicherheitsrat in New York.
In dem auf Montag datierten Schreiben heißt es, es bestehe der Verdacht, dass die Segeljacht zum Transport des Sprengstoffs genutzt worden sei, der bei der Sabotage im September eingesetzt wurde. Wahrscheinlich geht es um die Jacht «Andromeda», die laut Medienberichten schon länger im Fokus der Untersuchungen steht, doch geht dies nicht eindeutig aus dem Brief hervor.
In dem Schreiben heißt es, die Ermittler seien dabei, die genaue Route des Bootes nachzuzeichnen. Man habe herausgefunden, dass das Boot im Namen einer Person angemietet worden sei, die Dokumente verwendet habe, mit denen die Identität des echten Mieters verschleiert werden sollte. Ob sich diese Person tatsächlich dann an Bord befunden habe, sei noch nicht festgestellt worden.
Botschafterinnen-Brief: Täterfrage ungeklärt
Nach Experteneinschätzungen sei es möglich, dass ausgebildete Taucher Sprengsätze an den Orten angebracht haben könnten, an denen die Gasleitungen beschädigt worden seien, heißt es in dem Schreiben weiter. Unterzeichnet war es von der deutschen UN-Botschafterin Antje Leendertse sowie den Botschafterinnen Dänemarks und Schwedens.
Die Landesvertreterinnen betonten gegenüber dem mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen, dass die Ermittlungen andauerten - und die Täterfrage ungeklärt sei. «Zum jetzigen Zeitpunkt ist es nicht möglich, die Identität der Täter und ihre Motive zuverlässig zu klären, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob der Vorfall von einem Staat oder einem staatlichen Akteur gesteuert wurde.»
Am 26. September 2022 waren mehrere Explosionen in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm registriert und wenig später vier Lecks an drei der insgesamt vier Leitungen der Nord-Stream-Pipelines entdeckt worden. Der Betreiber von Nord Stream 1 sprach später von metertiefen Kratern und weit verteilten Trümmern am Meeresgrund. Tagelang blubberte Gas an die Meeresoberfläche - ohne dass klar war, wer für die Detonationen verantwortlich war.
Sprengstoffreste an mehreren Fremdkörpern
Die schwedische Staatsanwaltschaft hatte im November die von Anfang an gehegte Vermutung bestätigt, dass es sich um Sabotage handelte. Analysen hätten Sprengstoffreste an mehreren Fremdkörpern gezeigt, erklärte der zuständige schwedische Staatsanwalt Mats Ljungqvist.
Nord Stream 1 und 2 verlaufen jeweils als Unterwasser-Doppelstrang über eine Strecke von rund 1200 Kilometern von Russland nach Deutschland. Nord Stream 1 lieferte seit 2011 einen erheblichen Anteil des nach Europa importierten Gases. Allerdings hatte Moskau die Lieferungen im Zuge der Konfrontation mit dem Westen nach seinem Angriff auf die Ukraine schon vor der Zerstörung gedrosselt und dann ganz eingestellt. Die neuere Nord-Stream-2-Pipeline war bereits mit Gas gefüllt, aber mangels Zertifizierung noch nicht in Betrieb.
Sowohl in Deutschland als auch in Dänemark und Schweden sind zu den Explosionen Ermittlungen aufgenommen worden. Offiziell äußern sich die zuständigen Behörden kaum zu ihren Ermittlungsständen. Russland kritisiert, nicht in die Untersuchungen einbezogen zu werden. Dazu heißt es in dem Schreiben, die russischen Behörden seien über die laufenden Ermittlungen informiert worden. Eine eigene Beteiligung an der Sabotage hat der Kreml stets dementiert und stattdessen behauptet, dass westliche Geheimdienste etwas damit zu tun hätten.
Informationen zur Täterfrage frühestens im Herbst
Wann die Untersuchungen abgeschlossen seien, lasse sich weiter nicht sagen, schrieben Leendertse und ihre skandinavischen Kolleginnen. Die Art der Sabotageakte sei beispiellos, die Nachforschungen seien komplex. Ljungqvist hatte vor wenigen Wochen im schwedischen Radio gesagt, er hoffe, dass man im Herbst Stellung zur Täterfrage beziehen könne - das sei zumindest das Ziel.
In Deutschland haben die Ermittler Berichten zufolge schon länger eine gecharterte Segeljacht in den Fokus genommen, mit der das Sabotageteam mutmaßlich unterwegs war. ARD, SWR und «Zeit» hatten im März berichtet, dass ein Einsatzkommando den Ermittlern zufolge von Rostock aus in See gestochen sein soll. In dem Bericht hieß es, die Jacht sei angeblich von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden, die offenbar zwei Ukrainern gehöre.
Auch von Zwischenstopps der Jacht in Wiek auf Rügen und an der dänischen Insel Christiansø nordöstlich von Bornholm war die Rede. Späteren Medienberichten zufolge handelte es sich um das von einem Vermieter auf der Insel Rügen bereitgestellte Schiff «Andromeda».
© dpa-infocom, dpa:230712-99-370229/4