Ministerin Faeser lehnt Obergrenze für Geflüchtete ab
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat den Vorschlag einer jährlichen Obergrenze für Geflüchtete in Deutschland von CSU-Chef Markus Söder abgelehnt.
«Obergrenzen sind halt insofern nicht einzuhalten, weil wir europäisches Recht haben, internationales Recht, wir können gar nicht das Individualrecht auf Asyl alleine reduzieren», sagte Faeser in der ARD-Sendung «Anne Will» und fügte hinzu: «Wir sind an die Genfer Flüchtlingskonvention, an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden.» Derweil forderte Söder Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf, das Thema Migration zur Chefsache zu machen.
Faeser sagte: «Das einzige, was wirklich helfen wird, ist eine europäische Lösung.» Da müsse seitens der Europäischen Union mehr kommen an Verteilung. Die Kommunen seien an der Belastungsgrenze.
Söder für Deutschland-Pakt gegen unkontrollierbare Zuwanderung
Der bayerische Ministerpräsident Söder hatte eine «Integrationsgrenze» für die Aufnahme von Geflüchteten von etwa 200.000 Menschen ins Gespräch gebracht. In der Sendung «Anne Will» bekräftigte er, bei der Zahl 200.000 gehe es um eine Richtgröße, «in der Integration in unserem Land noch gelingen kann».
Man benötige Grenzschutz, den Stopp von Sonderaufnahmeprogrammen, die nur Deutschland mache, es brauche Rückführung und eine Veränderung der Anreize, beispielsweise beim Bürgergeld. Söder betonte, er sei nicht für die Abschaffung des individuellen Asyls. «Wir brauchen eine Wende hin zu einer nachhaltigen Migrationspolitik.»
Für einen Deutschland-Pakt gegen unkontrollierbare Zuwanderung stehe er sofort bereit, sagte Söder. Er forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, bei dem Thema Migration Führung zu zeigen. «Der Bundeskanzler, der wochenlang geschwiegen hat, der müsste jetzt mal ran an das Thema. Der Bundeskanzler muss jetzt auch hier Führung zeigen, und er muss übrigens auch die Grünen überzeugen», forderte Söder. Er wisse nicht, wer in der Regierung blockiere, er vermute die Grünen beim Thema sichere Herkunftsstaaten.
Aus vielen Ländern und Kommunen kamen zuletzt zunehmende Warnungen vor einer Überlastung. Bis Ende August registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 204.000 Erstanträge auf Asyl - ein Plus von 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dazu kommt, dass wegen des russischen Kriegs mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine in Deutschland Schutz suchten, die keinen Asylantrag stellen müssen.
Merz: Müssen schnell die Zahl der Flüchtlinge reduzieren
CDU-Chef Friedrich Merz unterstützte den Söder-Vorschlag einer Obergrenze. «Ja, das ist machbar. Aber leicht ist es nicht», sagte er der «Augsburger Allgemeinen». «Wir reden ja nicht nur über Wohnungen oder Schulen, wir reden auch über Krankenhäuser, vernünftige Ausbildung und echte Integration. Das ist eine gehörige Kraftanstrengung. Die wird uns nur gelingen, wenn diejenigen, die rechtskräftig abgewiesen worden sind, auch konsequent abgeschoben werden.»
Merz forderte, die Einreise Tausender Migranten pro Monat nach Deutschland zügig zu begrenzen. «Wir müssen dieses Problem lösen, sonst wächst uns das über den Kopf», sagte er. «Wenn wir die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und die Integrationsfähigkeit unseres Landes nicht überstrapazieren wollen, müssen wir schnell die Zahlen der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, reduzieren.» In diesem Zusammenhang erneuerte er sein Angebot an Scholz, «dass wir als ersten Teil seines Deutschland-Paktes gemeinsam die Flüchtlingskrise lösen».
Merz erinnerte an eine Äußerung von Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, der von einem drohenden Kontrollverlust gesprochen habe. «Er hat gesagt, wir werden hässliche Bilder sehen. Und wenn das so ist, dann müssen wir schnell zu Lösungen kommen, sonst erleben wir diesen Kontrollverlust.»
Deutschland sei zu wenig konsequent in der Zurückweisung und auch in der Abschiebung von Asylbewerbern, die keinen Anspruch haben, sagte Merz. «Die Dänen sind da sehr konsequent. Es gibt dort nur noch Sachleistungen und Sammelunterkünfte und Ausreisepflichtige werden dann auch konsequent abgeschoben. Von einer sozialdemokratischen Regierung übrigens, das sind keine Rechtsextremen.»
2022 wurden nach Angaben der Bundesregierung knapp 13.000 ausreisepflichtige Personen aus Deutschland abgeschoben. Laut Ausländerzentralregister waren Ende 2022 rund 304.000 Menschen ausreisepflichtig, davon etwa 248.000 mit einer Duldung. Geduldete sind Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können. Das kann etwa daran liegen, dass sie keine Ausweisdokumente haben, krank sind oder ein minderjähriges Kind haben, das eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die Duldung ist immer befristet.
Linke: Flüchtlingen rasch Arbeitssuche erlauben
In der Migrationspolitik fordert Linken-Chef Martin Schirdewan, allen Geflüchteten binnen drei Monaten die Suche nach einer Arbeit zu erlauben. Das Arbeitsverbot im Asylbewerberleistungsgesetz müsse aufgehoben werden, sagte Schirdewan in Berlin. Er forderte einen «Pakt für soziale Sicherheit», nämlich die Übernahme aller direkten Kosten der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten durch den Bund und Investitionen in soziale Einrichtungen wie Kindertagesstätten.
Die in der Ampel-Koalition und in der Union erwogenen Maßnahmen wie Rückführungsabkommen, Obergrenzen oder Grenzkontrollen würden die Flüchtlingszahlen hingegen kurzfristig nicht senken und auch den Kommunen nicht helfen, meinte Schirdewan. Denn die Fluchtursachen würden nicht bedacht. Es handele sich um Wahlkampfgetöse und ein «Konjunkturprogramm für die extreme Rechte».
FDP: Regierung braucht gemeinsames Verständnis
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bekräftigt indes seine Kritik am grünen Koalitionspartner in der Migrationspolitik, wiederholte seine scharfe Wortwahl vom Wochenende aber nicht. Die Bundesregierung müsse beim Thema Migration ein gemeinsames Verständnis für die Realität im Land haben, sagte er in Berlin bei einer Pressekonferenz nach Beratungen des FDP-Präsidiums.
«Es wird nicht funktionieren, wenn ein Koalitionspartner die Dinge anders sieht oder durch Bedenken gesamteuropäische Lösungen aufhält.» Es könne nicht sein, dass ausgerechnet Deutschland eine europäische Lösung ausbremse.
Djir-Sarai hatte am Wochenende gesagt: «Ob bei Reformen auf europäischer Ebene oder bei der Einstufung der sicheren Herkunftsländer: Die Grünen sind in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes Regierungshandeln und parteiübergreifende Lösungen.»
Auf Nachfrage nannte er bei der Pressekonferenz die sogenannte EU-Krisenverordnung. Diese sei von zentraler Bedeutung für eine europäische Einigung. «Aus meiner Sicht ist es außerordentlich problematisch, wenn Teile der Bundesregierung der Auffassung sind, dass das so nicht kommen soll.»
Grüne: In der Flüchtlingspolitik gibt es keine einfachen Lösungen
Die Grünen halten zusätzliche Grenzkontrollen und die Ausgabe von Sachleistungen an Asylbewerber nicht für sinnvolle Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Fluchtzuwanderung. Die Verteilung von Sachleistungen sei rechtlich bereits erlaubt, sie werde aber wegen des damit verbundenen großen Arbeitsaufwands für die Kommunen kaum praktiziert, sagte der Vorsitzende Omid Nouripour in Berlin nach einer Sitzung des Parteivorstandes. Mobile Kontrollen seien auch wegen der Belastung für die Bundespolizei besser als stationäre Kontrollen an den deutschen Grenzen.
In der Flüchtlingspolitik gebe es weder einfache noch schnelle Lösungen, sagte der Grünen-Politiker. Deshalb täten die Politiker der demokratischen Parteien gut daran, «auf Parolen zu verzichten».
Viele Äußerungen politischer Mitbewerber aus den vergangenen Tagen seien offensichtlich den Landtagswahlkämpfen in Hessen und Bayern geschuldet, sagte Nouripour. Wohl in Anspielung auf die FDP kritisierte er, wenn eine Partei befürchte, die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden zu können, so sei dies keine Entschuldigung dafür, «dass man die Untergrenze für Anstand verletzt».
Aus Sicht der Grünen müssten die Kommunen schnell finanziell entlastet werden, damit sie die Unterbringung und Integration der Geflüchteten bewältigen könnten. Wichtig sei außerdem, dass möglichst schnell mit Herkunftsstaaten Abkommen über Migration- und Rückführung vereinbart würden. Auch müsse der «Integrationsmotor Arbeitsmarkt» schneller angeworfen werden. Dafür sollten die Möglichkeiten genutzt werden, aus dem Asylverfahren in die Erwerbsmigration zu wechseln. «Spurwechsel – das ist das Gebot der Stunde», sagte Nouripour.
Bis Ende August registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 204 000 Erstanträge auf Asyl - ein Plus von 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Untergebracht und versorgt werden müssen zudem mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.
Baerbock wirbt für europäische Lösung in Migrationspolitik
Außenministerin Annalena Baerbock dringt in der Flüchtlingspolitik indes auf eine europäische Lösung. Die Lage in den Kommunen in Deutschland sei absolut angespannt, sagte die Grünen-Politikerin im Deutschlandfunk. Deswegen arbeiteten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und sie so hart, «dass wir in Europa endlich zu gemeinsamen Regelungen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik kommen».
Es brauche Struktur und Ordnung. An den Außengrenzen müssten klare Regeln geschaffen werden, «damit endlich Menschen geordnet in Europa verteilt werden». Sie verwies auf schnelle Verfahren an den Außengrenzen und schnelle Rückführungen.
Derzeit laufen Verhandlungen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, mit dem unter anderem irreguläre Migration in die Staatengemeinschaft begrenzt werden soll.
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