Messerfreie Zonen in Stuttgart - Schutz oder Grundrechtseingriff?
Fragen & Antworten
Fast täglich gibt es Verbrechen, die mit einem Messer als Tatwaffe begangen werden. Zuletzt etwa die tödliche Attacke auf zwei Mädchen in Illerkirchberg. Stuttgart will jetzt als erste Kommune im Land messerfreie Zonen einführen. Das gefällt nicht allen.
Warum wird gerade in Stuttgart eine solche Maßnahme erwogen?
Stuttgart folgt nach Worten von Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) anderen Großstädten in Deutschland, die gute Erfahrungen mit solchen Zonen gemacht haben. Im Südwesten habe die Landeshauptstadt mit 600 000 Einwohnern als populäres Oberzentrum für die Region mit 2,8 Millionen Einwohnern eine Sonderstellung. "Stuttgart gehört zwar zu den sichersten Städten Deutschlands, aber wir haben es mit einer spürbaren Zunahme von Messerdelikten insbesondere im Innenstadtbereich zu tun - deswegen müssen wir handeln."
Was ist der nächste Schritt?
Nopper legt an diesem Donnerstag den Stadträten seinen Beschlussantrag über eine Messerverbotszone im City-Ring samt Stadtgarten vor. Sein Ziel: "Die öffentliche Sicherheit sowie das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen in Stuttgart zu verbessern." Er stellt klar: "Wir werden nicht alle Messerstechereien verhindern können, wollen aber deren Zahl spürbar reduzieren."
Was soll untersagt werden?
Das Verbot zielt nicht auf das "Messer für das Vesperbrot" ab, wie der Stuttgarter Polizeipräsident Markus Eisenbraun erläutert. Ordnungswidrig verhält sich aber jeder, der in der Verbotszone ein Messer mit einer feststehenden oder feststellbaren Klinge mit einer Länge über vier Zentimeter bei sich trägt. Bislang war nur das Mitführen von Messern mit einer Klingenlänge von mehr als zwölf Zentimetern verboten. Das Verbot soll auf freitags und samstags jeweils von 20.00 bis 06.00 Uhr begrenzt sein.
Was passiert mit den gefundenen Messern?
Bei Durchsuchungen von Polizei oder kommunalem Ordnungsdienst entdeckte illegale Messer sollen - anders als bisher - einbehalten werden können. "Wir wollen aber nicht mit dem Röntgenblick durch die Stadt laufen, um unsere Asservatenkammer aufzufüllen", versichert Eisenbraun mit Blick auf Mutmaßungen, es würden künftig mehr Polizeikontrollen vorgenommen. Wer mehrfach gegen die Regel verstößt, kann mit einer Geldbuße von zunächst 200 Euro bis maximal 10 000 Euro bei mehrfachen Verstößen belangt werden. Für den Beamten ist das Verbot nur ein Baustein einer Sicherheitsarchitektur wie die Videoüberwachung, die bereits am Schlossplatz eingesetzt wird.
Wie positionieren sich die Fraktionen im Gemeinderat?
Nopper hat allen Grund zuversichtlich zu sein, die nötige Mehrheit für seinen Entwurf zu bekommen. Mit den Fraktionen der Grünen, der CDU, den Freien Wählern und der AfD kann er mit mindestens 36 von 50 Stimmen für seinen Vorschlag rechnen.
Was sagen die Kritiker?
FDP-Fraktionschefin Sibel Yüksel meint, der Vorstoß des OB habe sowohl dem Image der Stadt als auch dem Sicherheitsgefühl der Bürger geschadet. "Man hat den Eindruck, als ob man sich nicht mehr in die Innenstadt trauen könnte". Dabei sei Stuttgart doch die siebtsicherste Großstadt Deutschlands, sagt Zonen-Gegnerin Yüksel. Auch die SPD hält eine Verschärfung angesichts der Datenlage für unverhältnismäßig. Die CDU schüre Ängste, indem sie etwa mit dem Bild einer dunklen Gestalt mit Messer für eine Veranstaltung zum Thema geworben habe. "Das macht was mit den Leuten", meint Fraktionschefin Jasmin Meergans. Aus Sicht der Fraktionsgemeinschaft Linke SÖS Piraten Tierschutzpartei verhindern Waffenverbotszonen Kriminalität nicht, sondern seien ein Versuch der Polizei, rechtsfreie Räume zu schaffen. "Das führt zu Stigmatisierung ganzer Gegenden und ihrer Bewohner, Beschränkung von Grundrechten und Racial Profiling", befürchtet Linken-Stadtrat Luigi Pantisano.
Was geben die Zahlen her?
In der Landeshauptstadt weist die Polizeiliche Kriminalstatistik mit 50 Fällen 2021 in der potenziellen Verbotszone ein Fünfjahrestief bei den Delikten mit dem Tatmittel Messer aus. 2018 lag dieser Wert bei 61. Diese Zahlen werden bei der Abgabe von ausermittelten Fällen an die Staatsanwaltschaften erhoben. Aus Sicht der Kritiker lassen sich auf dieser Grundlage keine Verbotszonen rechtfertigen.
Was hat es mit dem Lagebild auf sich?
Aus Sicht Noppers ist das Lagebild entscheidend. Dieses berücksichtigt nicht nur Straftaten, sondern auch Ordnungsstörungen und sonstige relevante Vorkommnisse mit Messern. "Lagebilder beleuchten die aktuelle Situation - nicht langjährige Trends", erläutert Eisenbraun. Laut Lagebild ergibt sich zwischen März 2021 und März 2022 ein Wert von 256 Fällen mit Messern - das Fünffache des Werts, die die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst. Nach Worten Eisenbrauns lag der Anstieg der Messerdelikte im ersten Halbjahr 2022 im zweistelligen Prozentbereich. "Wir haben festgestellt, dass mehr junge Männer Messer mitführen als 2021, das wegen Corona-Einschränkungen ein Ausnahmejahr war."
Wie lang soll die Verordnung gelten?
Ihre Wirksamkeit wird eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten von Stadtverwaltung und Polizei bewertet. Nach zwei Jahren tritt sie außer Kraft, sofern der Gemeinderat nicht anders entscheidet.
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