Lost Places Baden-Württemberg
70 Jahre Baden-Württemberg! Das heißt auch: 70 Jahre Geschichte. Lost Place-Fotograf und Autor Benjamin Seyfang aus Metzingen fängt mit seinen Bildern genau das ein: die Vergangenheit. Zum 70-jährigen Jubiläum unseres Bundeslandes haben wir den so genannten Urban Explorer interviewt und laden Euch ein, mit ihm in die unbekannten Ecken des Landes einzutauchen. Und wir schenken Euch ein signiertes Exemplar seines fantastischen Fotobands “Lost Places” - meldet Euch weiter unten an zum Gewinnspiel!
Längst geschlossene Schwimmbäder, stillgelegte Fabriken, verlassene Häuser und sehr viel mehr: Benjamin, was genau fasziniert Dich an den verlassenen Orten so sehr?
Benjamin Seyfang: Die verlassen Orte sind für mich ein Ruhepol, ein Ausgleich zum Alltag. In einer Zeit, in der immer alles höher, schneller, weiter geht, ist dies ein Ort der Ruhe und man taucht ein in eine andere Welt.
Zudem ist es spannend zu sehen, wie die Natur sich Orte zurück erobert. Oft ist es auch die Geschichte dahinter: Warum steht etwas leer und warum ist hier alles zurück gelassen worden? Warum kümmert sich niemand darum?
In einer Zeit, in der alles einen Preis hat, hat es aber weniger einen Wert.
Oft sind die Orte auch eine Zeitkapsel, in die man hinein taucht. Kaum vorstellbar, wie hier jemand gelebt oder auch gearbeitet hat. Wie laut es manchmal gewesen sein muss. Zudem ist es Geschichte zum Anfassen. Gerade alte Bunker oder Stollen-Anlagen - kaum vorstellbar, wie das im Krieg gewesen sein muss.
Was sind Lost Places?
Lost Places bedeutet sinngemäß so viel wie “vergessene Orte”. Es handelt sich dabei um von Menschen geschaffene Bauwerke, die einst rege benutzt, doch dann an Bedeutung verloren haben und der Natur überlassen wurden. Das können alle Arten von Gebäuden sein, aber auch Tunnel, Bunker oder Freizeitparks und Schwimmbäder.
Urban Explorer (auch “Urbexer” genannt) wie Benjamin Seyfang spüren diese Orte auf, recherchieren deren Geschichte und fotografieren sie.
Ob verlassene Fabrik, Hausruine oder abgerissenes Freibad- ein bestimmter Schauer steckt in den Gemäuern der Lost Places. Geht da nicht die Angst mit Dir durch?
Benjamin Seyfang: Bei mir ist es eher die Faszination dahinter, ich finde es spannend solche Orte anzusehen. Oft verstehen einige nicht, was ich dahinter sehe und warum ich in verlassene Gebäude gehe, die schon zerfallen. Doch an meinen Fotos und Büchern sieht man, was mich daran fasziniert. Es ist nicht nur etwas Zerfallenes, sondern auch etwas Schönes.
Zur Person
Die Liebe zur Schönheit des Verfalls
Durch sein Hobby Graffiti hat Benjamin Seyfang schon so einige Abrissgebäude verschönert. Doch bald entdeckte er die Schönheit des Zerfalls. Im Jahr 2012 war klar, dass dies nicht nur ein paar Fotos sind, sondern dass hier eine Leidenschaft dahintersteckt. Somit begann die Reise rund um den Globus, immer auf der Suche nach verlassenen und vergessen Orten dieser Welt. Benjamin Seyfang empfindet die Fotografie als Ruhepol in einer Zeit, in der alles schnell und hektisch zu geht. Jedes einzelne Bild von Ihm erzählt seine eigene Geschichte.
Mehr von Benjamin Seyfang findet Ihr auf seiner Homepage. Auf dem Instagram-Kanal “Crosstheline" nimmt Benjamin seine Follower gern mit auf einen Blick hinter die Entstehung seiner Werke.
Lost Places sind schwer zu finden und unterliegen in der Szene strenger Geheimhaltung. Wie findest Du diese Orte?
Benjamin: Als ich mit dem Hobby angefangen habe, habe ich viel im Internet recherchiert und mich mit Geocaching beschäftigt. Mittlerweile suche ich aktiv via Google Maps und Google Earth nach nach verlassenen oder zugewachsenen Geländen. Alles finden kann man im Internet aber nicht. Ich tausche mich auch in der Community über Lost Places aus. Da habe ich ein großes Netzwerk an Fotografen, mit denen ich schon gezielt in andere Länder verreist bin, um Lost Places aufzusuchen.
Achtung! Zutritt verboten?
Lost Places sind spannend, aber nicht umsonst häufig abgesperrt. Es gibt viele Lost Places, aber die meisten sind der Öffentlichkeit unzugänglich.
Wie schwierig ist es einen Kontakt zu den Zuständigen für Besichtigungen herzustellen?
Benjamin: Wenn es eine Fabrik oder ein Krankenhaus ist, ist es relativ einfach einen Besitzer herauszufinden. Bei Wohnhäusern ist es schwieriger. Da muss man sich auch mal bei den Anwohnern durchfragen. Bei offiziellen Anfragen habe ich bisher immer gute Erfahrungen gemacht. Manchen Besitzern ist es peinlich, dass ihre Immobilie zerfällt, die wollen das nicht und das respektiere ich. Doch manche sind offen und freuen sich, dass sich dafür jemand interessiert.
Warum ist das Betreten so problematisch?
Benjamin: Das Problem ist, dass es auch nicht immer offiziell ist. Man muss sich bewusst sein, dass man in einigen Fällen Hausfriedensbruch begeht und dass der Besitzer das Recht hat, den “Eindringling" anzuzeigen.
Dann wurdest Du sicher auch schon Mal von Geländen verwiesen?
Benjamin: Ja, da war ich auf einem alten Gelände einer Waggonfabrik unterwegs. Ein Teil war verlassen, ein anderer nicht und da habe ich ein paar Bilder gemacht, bis mich jemand nach der Genehmigung fragte und mich dann gebeten hat zu gehen. Ich musste auch schon Bilder löschen, da Besitzer drohten, die Polizei zu rufen. Manche sind verärgert, weil regelmäßig Menschen herkommen, die einbrechen, sprühen oder etwas kaputt machen. Doch wenn man Menschen offen und nett begegnet, sind die auch nett.
Wieso Lost Places so geheim sind
Geheimhaltung der genauen Standorte der vergessenen Stätten ist die goldene Regel unter Urban-Explorern. Das liegt daran, dass verlassene Orte oft zerstört werden und der geheime Ort in Ruhe gelassen werden sollten.
Urbexer halten sich an die goldene Regel der Szene, die lautet: “Nimm nichts außer Fotos, hinterlasse nichts außer Fußspuren”.
Abenteuerlich, aber nicht ungefährlich
Bei einigen verlassenen Orten handelt es sich um Gelände, die schon seit Jahrzehnten verlassen sind. Einsturzgefahr oder unvorsichtiges Verhalten sind häufige Ursachen für Unfälle.
Gab es einmal gefährliche Situationen bei Deinen Expeditionen?
Benjamin: Als ich in England war, habe ich ein verlassenes Bergwerk aufgesucht und dort gab es einen unterirdischen See, der sich durch Grund- und Regenwasser gefüllt hat. Auf der anderen Seite des Sees hat sich viel Schutt und Müll aufgetürmt, da Menschen dort ihre Autos und Schrott losgeworden sind. Das ist ein superschönes Motiv, da sich der Schrott im Wasser spiegelt. Ich wollte unbedingt ein Bild von dieser Seite des Sees, doch da kam man nur hin wenn man dort hin schwimmt.
“Mir ist in einem verlassenen Bergweg das Boot weggetrieben”
Ich bin mit einem kleinen Schlauchboot auf die andere Seite gepaddelt und plötzlich ist dort Wasser reingelaufen und auch in meine Hose, wodurch mein Handy kaputt gegangen ist. Als ich an Land ging, ist das Boot hochgeklappt, wodurch mein Stativ ins Wasser gefallen ist. In dem Moment ist dann auch das Boot weggetrieben. Dann dachte ich was mache ich jetzt?
Und dann?
Benjamin: Dann ich bin dann auf die Idee gekommen, das Boot zurückzutreiben, indem ich eine Welle durch Steinen erzeuge und so ist es dann zu mir zurückgetrieben. Das alles war ein enormer Schreckensmoment, da musste ich schon schlucken.
Lost Place-Ausflüge mit der Familie - ja oder nein?
Wenn Familien planen, solche Orte aufzusuchen, was sollten sie unbedingt beachten?
Benjamin: Wenn die Kinder jung sind, würde ich das nicht empfehlen. Urbexing ist durchaus nicht ungefährlich, z.B. durch Decken oder Böden, die durchbrechen könnten. Und je nachdem wo man hingeht, beispielsweise in alte Stollen, gibt es auch Gase, die man nicht sehen oder schmecken kann. Dazu habe ich Messgeräte und bin gegen solche Gefahren ausgerüstet - Doch manchmal sollte man auch diese Orte meiden. Schon Erwachsene brauchen da wirklich gute Kenntnisse, und Kinder können solche Gefahren noch schwerer abschätzen.
Buchverlosung: „Lost Places- Die Faszination verlassener Orte“
Du gehörst nicht nur zu den besten Lost-Place-Fotografen Deutschlands, sondern auch Autor mehrerer Bildbände mit Lost Places Lost Places in Baden-Württemberg, Region Stuttgart und auch auf der Schwäbischen Alb. Wie lange brauchst Du, bis ein Buch fertig ist?
Benjamin: Die ganze Sammlung besteht aus 8 Jahren Fotografie. Die anderen Bücher sind mit teils älteren und neueren Bildern, das dritte Buch um die Schwäbische Alb war eigentlich ein Corona Projekt - das ist innerhalb von einem Jahr fertig gewesen.
Hast du vor noch mehrere Bücher zu veröffentlichen, die vielleicht auch Regionen über Baden-Württemberg hinaus betreffen?
Benjamin: Aktuell ist ein weiteres Buch in Planung über Baden-Württemberg. Außerhalb kann ich es mir aber auch gut vorstellen, da ist aber noch nichts geplant.
Vielen Dank für das Interview!
Interview geführt von Levin Horst
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