22.000 Kilometer pro Monat: Deutscher lebt Kindheitsraum
Gekonnt lenkt Ingo Zacharias den Lkw-Koloss mit 630 PS durch das Outback im Westen Australiens. Der Deutsche ist Fernlastfahrer - aber er ist nicht mit einem gewöhnlichen Brummi, sondern mit einem Road Train unterwegs.
Die Gefährte sind lang - oft messen sie mehr als 50 Meter. Ganz allein im Führerhaus steuert Zacharias das Fahrzeug durch die unbewohnten Weiten von Down Under. Für ihn ist das Alltag und Lebenstraum zugleich: «Jeden Tag erlebe ich wunderschöne Sonnenaufgänge und wunderschöne Sonnenuntergänge.»
Der 53-Jährige aus Pulheim bei Köln befördert Güter über extrem weite Strecken. Für große Länder mit viel menschenleerer Fläche und entlegenen Siedlungen sind solche Mega-Laster unentbehrlich. Sie fahren etwa auch durch Kanada und die USA. Besonders Orte, die keine Anbindung an das Eisenbahnnetz haben, sind auf Warenlieferungen per Road Train angewiesen. Das gilt besonders für das Landesinnere Australiens, wo es bis heute kaum Schienenverkehr gibt.
Zum ersten Mal kamen Road Trains, was frei übersetzt so viel wie Straßen-Zug heißt, in den 1930er Jahren zum Einsatz. Sie ersetzten damals die Kamel-Karawanen, die Nahrungsmittel und Rohstoffe in entlegene Outback-Regionen brachten. Meist reihen sich bei den Trucks drei große Auflieger aneinander.
Für seinen Arbeitgeber fährt Zacharias derzeit riesige Reifen von der westaustralischen Metropole Perth bis in die 1600 Kilometer weiter nördlich liegende Hafenstadt Port Hedland. Diese werden für Muldenkipper verwendet, mit denen Eisenerz transportiert wird, das Australien dann unter anderem nach Japan oder China exportiert. Die Ladung ist schwer und kostbar: Ein einziger Reifen ist bis zu 100.000 australische Dollar (60.000 Euro) wert und wiegt etwa 5000 Kilo.
Australien: Deutlich andere Größenstandards
Bevor es losgeht, muss Zacharias aber zunächst von seinem Wohnort Newman 1000 Kilometer weit zu einer «Road Train Assembly Area» nach Wubin fahren, nördlich von Perth. In die Großstadt selbst darf sein Road Train nicht. Mit drei Anhängern und einer Gesamtlänge von 53,5 Metern entspricht er dem australischen Limit auf nicht-privaten Straßen. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die erlaubte Maximallänge eines Lastwagens 25,25 Meter.
In Wubin werden die Reifen eingeladen, anschließend geht es in den Norden - bis zum Endziel Port Hedland. Am nächsten Tag fährt Zacharias wieder Richtung Süden, um weitere Reifen zu holen - so geht es ständig von A nach B und wieder zurück. Jeden Monat fährt er etwa 22.000 Kilometer. «Im Prinzip endet eine Tour nie», sagt Zacharias. Oft arbeitet er 80 Stunden die Woche, manchmal sitzt er 17 Stunden pro Tag am Steuer. Geschlafen wird im Brummi.
Und so zählen nicht nur lange Tage und Müdigkeit zu den Herausforderungen des Jobs - auch die Ehe mit seiner Frau Belinda muss einiges aushalten. «Wenn ich arbeite, dann habe ich wirklich kein Privatleben», sagt Zacharias. Doch auch zu viel Freizeit liegt ihm nicht. Nach ein paar Tagen will er zurück auf die Straße: «Es ist fast wie eine Sucht. Wenn man natürlich so viel arbeitet, so lange Stunden, dann kennt man ja gar nichts anderes.»
Das Lkw-Fahren liegt Ingo Zacharias im Blut. Sein Vater und der ältere Bruder besitzen beide den Führerschein für Lastkraftwagen im Nahverkehr. Als Zacharias etwa zehn Jahre alt war, machte der Bruder gerade seine Ausbildung. «Er hatte einen Lkw-Kalender an der Wand, und ein Monat zeigte Road Trains», erinnert er sich. Die riesigen Trucks, die auf leeren Sehnsuchtsstraßen dem Horizont entgegenfahren, begeisterten ihn und wurden zu seinem Kindheitstraum: Irgendwann wollte er selbst in der Fahrerkabine sitzen.
Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg für den Jungen aus Nordrhein-Westfalen. Zunächst machte er eine Ausbildung zum Binnenschiffer, mit 23 dann den Lkw-Führerschein. Schnell zog es ihn in die Ferne: Mit Lastern fuhr er durch halb Europa - von Spanien und Portugal nach Italien, Rumänien und sogar bis nach Tunesien.
Liebe auf den ersten Blick
2002 brachte ihn ein Urlaub nach Australien. Der damals 30-Jährige verliebte sich Hals über Kopf sowohl in eine Frau als auch in das herrliche Land - und blieb. Zu den Road Trains fand er jedoch erst Jahre später. Stattdessen studierte er Buchhaltung und arbeitete mehrere Jahre in dem Beruf. Doch wirklich glücklich wurde er nicht.
Dass Zacharias nicht schneller zu den Straßenzügen fand, hing auch mit Hemmungen zusammen: «Gerade in Deutschland hat Lkw-Fahren nicht den besten Ruf in der Gesellschaft», sagt er. Deswegen habe er sich lange Zeit nicht mit dem Beruf identifizieren wollen, obwohl der ihn schon in Deutschland glücklich gemacht habe.
Erst eine schwierige Trennung von seiner damaligen Freundin verschaffte ihm schließlich Klarheit: «Ich habe mir dann gesagt: Ich mache jetzt das, was ich will, und nicht was andere Leute von mir erwarten. Und das ist Lkw-Fahren. Da bin ich glücklich.»
Vor einigen Jahren wurde bei dem Deutschen eine milde Form des Autismus diagnostiziert - was auch erklärt, warum er gerne für sich ist. «Menschen sind nicht mein Ding», gibt er zu. «Ich bin nicht gerne ständig allein, aber ich brauche meine eigene Zeit für mich.»
Seine Heimat vermisst er kaum. «Was das Lkw-Fahren angeht, bin ich froh, nicht mehr in Deutschland fahren zu müssen», erzählt er. Besonders die Überholverbote und mangelnde Parkmöglichkeiten, aber auch die vielen Staus störten ihn dort. Nur deutschen Kohlrabi vermisse er manchmal in Australien.
Aber für das fehlende Gemüse wird er reich entschädigt. Tagein, tagaus mit dem Road Train durch die endlosen Weiten des Outbacks zu fahren, dabei nur die Straße und den Horizont im Blick: Für Ingo Zacharias ist das nicht nur ein Beruf, es ist seine Passion. «Die Natur, die Freiheit - das ist das, was mir persönlich so gefällt.»
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