Die Parteichefs der Koalitionsparteien: Christian Lindner (FDP), Ricarda Lang (Grüne) und Lars Klingbeil (SPD, v.l.n.r.)., © Michael Kappeler/dpa
Die Parteichefs der Koalitionsparteien: Christian Lindner (FDP), Ricarda Lang (Grüne) und Lars Klingbeil (SPD, v.l.n.r.). Michael Kappeler/dpa, dpa
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Grüne Ernüchterung nach dem Koalitions-Marathon

29.03.2023

Was taugen die hart errungenen Beschlüsse der Ampel-Spitzen? Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Koalition haben am Tag nach ihrer umkämpften Einigung viel Kritik von Opposition und Verbänden eingesteckt. Im Bundestag verteidigte der Kanzler die Ergebnisse der dreitägigen Verhandlungen: «Jetzt kommt Tempo in Deutschland», versprach er in einer Regierungsbefragung. Besonders hob der SPD-Politiker dabei die Modernisierung von Autobahnstrecken und zusätzliche Milliarden für die Bahn hervor. Die Union dagegen kritisierte in seltener Einigkeit mit Umweltverbänden die Aufweichung von Klimaschutzregeln. Von den drei Partnern der Ampel-Koalition zeigte sich einer ziemlich ernüchtert: Die Grünen.

Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP hatten von Sonntag bis Dienstag netto etwa 30 Stunden im Bankettsaal im fünften Stock des Berliner Kanzleramts beraten. Das Ergebnis sind 16 Seiten, die nun naturgemäß ziemlich unterschiedlich bewertet werden. Während SPD-Chef Lars Klingbeil meint, es sei ein «großes Modernisierungspaket», das das Land «über die nächsten Jahrzehnte verändern» werde, bezeichnet CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt das Ergebnis als «nicht einmal ein Wümmschen».

«Unehrliche politische Parolen»: Kanzler im Angriffsmodus

Der Kanzler hatte schon vor der Verkündung von «sehr, sehr, sehr guten Ergebnissen» gesprochen, schaltete im Bundestag am Tag danach auf Angriffsmodus und wies jede Kritik schroff zurück. Der Opposition warf er «unehrliche politische Parolen» vor und machte sich erneut über «mediales Topfschlagen» lustig, das noch nie so daneben gelegen habe wie bei diesem Koalitionsausschuss.

Die lange Hängepartie war in den vergangenen Tagen auch ihm und seinem Haus angelastet worden, das die Regierungspolitik koordiniert. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann griff Scholz in einer ersten Verhandlungspause sogar frontal von der Seitenlinie an und meinte, die Ampel könne besser regieren. «19-Stunden-Sitzungen zu machen, finde ich schon ein Zeichen von Führungsschwäche des Kanzlers», sagte der Grünen-Politiker. Allerdings: Zu viel Führung ist den kleineren Partnern in einer Dreier-Konstellation, in der alle auf Augenhöhe sein wollen, dann auch wieder nicht recht.

Beschlusspapier ist bittere Pille für die Grünen

Dreier-Koalitionen haben auch an sich, dass sich schon mal zwei gegen einen verbünden. Nach diesem Koalitionsausschuss sind die Unterschiede in den Kommentierungen besonders deutlich. Während SPD und FDP jubeln, herrscht bei den Grünen Ernüchterung. «Das, was wir beschlossen haben, das reicht noch nicht. Deshalb werden wir auch dranbleiben», sagte Parteichefin Ricarda Lang im Deutschlandfunk. «Aber wir haben Fortschritte mit drin.»

Für die Grünen ist das Beschlusspapier eine bittere Pille. Die geplante Novelle des Klimaschutzgesetzes genügt nicht den eigenen Ansprüchen im Kampf gegen die Erderwärmung, Umweltorganisationen reagierten entgeistert. Auch eine lange Liste an Autobahn-Ausbauprojekten akzeptierten die Grünen am Ende. Dafür sollen Solaranlagen und Windräder entlang der Straßen sprießen. FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, der bislang kein ausreichendes Arbeitsprogramm zur Schließung der Klimaschutzlücke in seinem Bereich vorgelegt hat, hat künftig weniger Druck - schließlich soll die Bundesregierung insgesamt mehr Verantwortung für CO2-Einsparungen übernehmen und die zuständigen Minister etwas weniger.

Zwei gegen einen beim Klimaschutz

Die Grünen sehen sich beim Klimaschutz in Opposition zu SPD und FDP. Für die SPD mit Kanzler Olaf Scholz sind sie ernstzunehmende politische Konkurrenten, die FDP wiederum kämpft mit dürftigen Landtagswahlergebnissen. Eine Konstellation, die den roten und gelben Ampelpartnern wenig Lust machen dürfte, den Grünen bei ihrem Kernthema entgegen zu kommen.

Das Problem gipfelte in den sehr deutlichen Worten von Klimaschutzminister Robert Habeck aus der vergangenen Woche: Es könne nicht sein, «dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt.» Die Grünen konnten sich auch im Koalitionsausschuss mit ihren Vorstellungen kaum durchsetzen und wählten am Ende den Spatz in der Hand anstelle der Taube auf dem Dach - ein Scheitern wollten sie nicht riskieren.

Viele Ampel-Streitigkeiten weiter offen

Denn auch nach dem schier endlosen Koalitionsausschuss sind längst nicht alle Auseinandersetzungen der drei Partner geklärt: Die umkämpfte Finanzierung der Kindergrundsicherung, ein Herzensprojekt der Grünen, wurde dem Vernehmen nach nicht einmal angesprochen. Im Beschlusspapier jedenfalls kommt sie nicht vor. Dabei gehen die Vorstellungen vor allem von Grünen und FDP weit auseinander: Familienministerin Lisa Paus hätte gern 12 Milliarden Euro, um Leistungen für Familien auch aufzustocken. Finanzminister Christian Lindner bremst und will erstmal dafür sorgen, dass alle bekommen, was ihnen jetzt eigentlich schon zusteht.

Auch den Haushaltsstreit klammerten die Koalitionsspitzen bewusst aus. Denn hier prallen Milliardenwünsche der Ministerien weiter auf Lindners Sparkurs - mit bisher kaum sichtbarer Bewegung. Inzwischen scheint realistisch, dass der Finanzminister seinen Entwurf erst nach der Steuerschätzung im Mai ins Kabinett schickt. Dann könnten die Spielräume zumindest etwas größer sein als bisher.

Die Beschlüsse der Koalition jedenfalls haben laut Lindner keinen direkten Einfluss auf den so hart umkämpften Etat für das kommende Jahr. Wirklich nicht? So soll zum Beispiel die Finanzspritze für die Bahn durch eine Erhöhung der Lkw-Maut gestemmt werden. Doch die bringt im Jahr nur fünf bis sechs Milliarden - den Bedarf der Bahn bis 2027 dagegen beziffert die Ampel auf 45 Milliarden. Genauso fraglich ist, ob der Klimafonds neben dem Haushalt groß genug ist für die Förderung des Heizungstauschs. Der nächste Streit scheint nicht weit.

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