Generationenwechsel in BWs Rathäusern
Generationenwechsel in BWs Rathäusern
Baden-Württemberg hat den jüngsten Oberbürgermeister Deutschlands. 30 Jahre alt ist er und sitzt im Rathaus in Göppingen. Bei den letzten fünf Oberbürgermeisterwahlen im Land haben in allen Fällen Kandidaten unter 40 Jahren die meisten Stimmen geholt*. Die jungen Wilden drängen auf den Bürgermeisterstuhl und bringen frischen Schwung in die Gemeinden.
Frische Ideen für eine junge Generation
Daniel Töpfer ist Bürgermeister der Gemeinde Weissach im Landkreis Böblingen. Mit 25 Jahren hat er erstmals kandidiert. Damals hieß es, er sei doch „arg jung, der sollte vielleicht erst mal was schaffen“, erinnert er sich. Gut 60 Prozent der Bürger haben ihm dennoch sein Vertrauen geschenkt. Ein junger Bürgermeister bringe die „Freude und Lust, sich in neue Dinge wirklich reinzuknien, auszuprobieren und daraus Innovationskraft zu schöpfen", sag der heute 32-Jährige. "Das kann jemand Junges gut verkörpern, denn er hat nicht die Bürde der Erfahrung“. Am 11. Juli ist er bei der Oberbürgermeisterwahl in Esslingen angetreten, der gut doppelt so alte, langjährigen Amtsinhaber Jürgen Zieger (66) ging in den Ruhestand. Töpfer wolle in Esslingen für die Generation da sein, die in der Stadt „lebt und wirkt“, und das seien die Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Laut vorläufigem amtlichem Endergebnis holte er mit etwa 32 Prozent knapp die meisten Stimmen, auch wenn er eine absolute Mehrheit verfehlte.
„In einer lebendigen Demokratie braucht es nach einer gewissen Zeit auch einen Wechsel.“
Davon ist Alexander Maier überzeugt, seit Januar 2021 der bereits erwähnte Oberbürgermeister in Göppingen. Er selbst ist in der Stadt aufgewachsen, war zuvor Landtagsabgeordneter. Er wünscht sich mehr junge Menschen in der Politik. „Zu mir kommen Junge und sagen, sie fühlen sich nicht vertreten in den Parlamenten und ich sage: ja gut, das seid ihr auch nicht“. Letztendlich ist für ihn die Bürgermeisterwahl jedoch eine Persönlichkeitswahl. Rein auf Alter komme es dabei nicht an: „Ich kenne einige Jüngere, die politisch aktiv sind, die würde ich nicht mal in den Vorstand vom Kleintierzüchterverein wählen“.
„Ich komme auch mal im Hoodie ins Rathaus“ – Ferdinand Truffner
Ähnlich sieht das auch Ferdinand Truffner, 28-jähriger Bürgermeister in Empfingen im Landkreis Freudenstadt: „Auch bei jüngeren Menschen gibt es noch alte Gedanken“. Umgekehrt gäbe es auch ältere Bürgermeister mit jungen Gedanken: „Ich nehm sehr viel mit von älteren Kollegen, wenn ich bei Bürgermeistertagungen bin. Vielleicht nehmen sie auch das Spritzige und Freche von den jüngeren Bürgermeistern mit“. Aus seiner Sicht bringe die jüngere Generation einen anderen Führungsstil in die Rathäuser, mit weniger starken Hierarchien und mehr Teamwork. Sie hätten noch nicht die „Verwaltungsscheuklappen“ und können frische Ideen was Bürgerbeteiligungsformate oder Digitalisierung anbelangt einbringen.
Antworten auf Bürgerfragen über Instagram
Offene und transparente Kommunikation über Social Media, darauf setzt Sebastian Kurz. Mit 35 Jahren ist er letzten Herbst zum Bürgermeister von Aichtal im Landkreis Esslingen gewählt worden. „Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man die Bevölkerung gut informiert in der heutigen Zeit“, ist er der Ansicht, und das gehe über Facebook eben schneller als im Amtsblatt. Der Wunsch nach frischem Wind sei sogar bei den Älteren da gewesen, erzählt er: „Ich hab mit einigen Gespräche geführt, da waren Menschen dabei, die Ende 70 waren, die gesagt haben, sie haben sich extra bei Facebook angemeldet, um das politische Geschehen in der Stadt mitzuverfolgen“. Maier in Göppingen beantwortet regelmäßig Fragen über Instagram, und das komme gut an: „Da bekommen [die Bürger] direkt eine Antwort und ihnen wird schnell und unbürokratisch geholfen“.
Warum als junger Mensch in die Kommunalpolitik?
Dass zumindest bei uns im Süden Deutschlands mehr junge Bürgermeister die Rathäuser übernehmen, der Ansicht ist auch das Netzwerk „Junge Bürgermeister*innen“, in dem sich rund 570 eben dieser über Parteigrenzen hinweg zusammengeschlossen haben.
„Nirgends kann man so viel bewegen und ist so nah am Bürger wie als Bürgermeister.“
Darin sieht Kurz seine Motivation. Die Ansicht teilt auch Maier: „Man kann wahnsinnig viel hier vor Ort direkt bewegen. Ich war im Parlament, da ist man ist eben ein sehr kleines Zahnrädchen in einem riesigen Betrieb. Wir entscheiden hier mit dem Gemeinderat zusammen Dinge, wo wir die Auswirkungen direkt sehen“. Für Truffner ist die Motivation heute die selbe wie früher: „Das Gestalten und Mitentscheiden über die Entwicklung der Gemeinde“.
* Stand 11. Juli. Gewählt wurde zuletzt in Esslingen, Aalen, Schwäbisch-Hall, Heidenheim, Backnang – noch nicht in allen Fällen wurde der Oberbürgermeister bestätigt. In Schwäbisch Hall lag der jüngste Kandidat zwar deutlich vorn, konnte aber keine absolute Mehrheit sichern, hier ist ein zweiter Wahlgang angesetzt. In Esslingen bekam der jüngste Kandidat knapp die meisten Stimmen, verfehlte aber ebenfalls eine absolute Mehrheit, hier steht ebenfalls der zweite Wahlgang aus.
Korrektur: in einer früheren Version des Artikels hieß es, Töpfer sei in Esslingen gegen den Amtsinhaber Zieger angetreten. Dies stimmt nicht, Zieger ging in den Ruhestand. Für den Fehler möchten wir uns entschuldigen.
Bilder in der Titelgrafik: Die Rathäuser in Esslingen, Aalen und Schwäbisch Hall (v.l.n.r.)