Forschende warnen: Wissenschaftsfreiheit in Israel bedroht
Sechs deutsche Wissenschaftsorganisationen warnen gemeinsam vor einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in Israel. Grund für die Sorge ist die bevorstehende Justizreform der Regierung, wie aus einer Stellungnahme hervorgeht, die die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) veröffentlicht hat. Die Reform würde die Befugnisse des Obersten Gerichts massiv einschränken und damit die Macht der rechts-religiösen Koalition um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ausweiten.
«Es gibt schon ein Dokument der israelischen Koalition, demzufolge Gelder umverteilt werden sollen, von der Wissenschaft hin zu religiösen Bildungsstätten», sagte MPG-Präsident Patrick Cramer der Deutschen Presse-Agentur. «Religionsfreiheit ist natürlich wichtig, aber wenn die Wissenschaft heruntergefahren wird zugunsten von religiösen Einrichtungen, führt das natürlich mittelfristig zu großen Veränderungen in der Gesellschaft.»
Cramer spricht von einem «historischen Effekt», den die Reform auslösen könnte. «Die Regierung könnte einfach Forschungsfelder austrocknen und dafür andere Forschungsfelder ganz gezielt unterstützen.» Dies sei beispielsweise in der USA passiert, als Ex-Präsident Donald Trump während seiner Amtszeit die Forschung in die Umweltbehörde massiv zurückgefahren hatte. Auch in Polen oder Ungarn habe die Regierung die akademische Freiheit in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt.
Dies könnte nun auch Israel drohen, einem Land, dessen akademische Freiheit von Experten des V-Dem Forschungsinstituts aktuell noch als sehr hoch eingestuft wird - höher als in Industriestaaten wie den USA, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich. Die Folgen wären laut MPG-Präsident Cramer fatal: «Stellen Sie sich vor, Sie haben keine Professoren mehr, dann haben Sie auch keine Studenten mehr, dann geht das Wissen verloren, dann wandern die Leute ins Ausland ab. Dann gibt es bestimmte Forschungsbereiche überhaupt nicht mehr.»
Seit mehr als einem halben Jahr gehen in Israel regelmäßig Tausende Menschen gegen die geplante Reform auf die Straße. Gegner sehen die Gewaltenteilung und damit die Demokratie in Gefahr. Manche warnen sogar vor der schleichenden Einführung einer Diktatur. Ein zentrales Gesetz des Regierungsprojekts soll Anfang nächster Woche verabschiedet werden.
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