Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) äußert sich zusammen mit Boris Rhein (l, CDU), Ministerpräsident von Hessen, und Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, nach dem Bund-Länder-Gipfel im Bundeskanzleramt., © Bernd von Jutrczenka/dpa
Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) äußert sich zusammen mit Boris Rhein (l, CDU), Ministerpräsident von Hessen, und Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, nach dem Bund-Länder-Gipfel im Bundeskanzleramt. Bernd von Jutrczenka/dpa, dpa
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Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels

07.11.2023

Einigung beim Thema Migration

Bund und Länder haben sich nach monatelangem Streit über die Aufteilung der Flüchtlingskosten geeinigt und Maßnahmen zur Verringerung der irregulären Migration nach Deutschland vereinbart.

Vorgesehen sind dabei auch Leistungseinschränkungen für Asylbewerber. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am frühen Morgen nach knapp neunstündigen Beratungen mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder von einem «sehr historischen Moment». Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) betonte, man habe einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. «Klar ist aber auch, dass ein Weg aus sehr vielen Schritten besteht, und natürlich noch weitere Schritte folgen müssen.»

Es sei gelungen, dass alle Ebenen des Staates eng zusammenarbeiten, sagte Scholz. «Und das ist auch notwendig, das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns, dass wir das tun.» Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) versicherte, man habe es am Ende geschafft, «wirklich zu einem guten Gesamtergebnis zu kommen».

Er wünsche sich, dass dies nun durch eine Einigung zwischen Bundesregierung und Union ergänzt werde. Der Beschluss von Bund und Ländern biete dafür «eine sehr gute Grundlage». Dass es auch eine Einigung in der umstrittenen Finanzierungsfrage gegeben habe, sei bis zum frühen Morgen ungewiss und keine Selbstverständlichkeit gewesen.

Finanzierung der Flüchtlingskosten wird umgestellt

Bund und Länder einigten sich auf eine Systemumstellung bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten. Vom kommenden Jahr an zahlt der Bund für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale von 7500 Euro und nicht mehr eine jährliche Gesamtsumme von derzeit rund 3,7 Milliarden Euro. Scholz sprach vom «Übergang zu einem atmenden System» und erläuterte: «Mit steigenden Zahlen gibt's mehr Geld, mit sinkenden Zahlen gibt's weniger.»

Hessens Ministerpräsident Rhein erklärte, die Länder könnten sich immer vorstellen, vom Bund noch mehr Geld zu bekommen. Er erläuterte, dass es zusammen mit Entlastungen um ein Volumen von insgesamt rund 3,5 Milliarden Euro für die Kommunen gehe. Es sei gelungen, «hier Handlungsfähigkeit zu beweisen».

Weil rechnete vor, die Bundesregierung habe für das kommende Jahr 1,2 Milliarden Euro geben wollen, die Länder hätten eher 5 Milliarden Euro gewollt. «Dass es gelungen ist, unter diesen Bedingungen ziemlich genau auf der Mitte zueinander zu kommen, das ist zu früher Morgenstunde wirklich ein Ausrufezeichen wert.» Für die Kommunen gebe es 2024 sogar «einen wesentlichen zusätzlichen Erstattungsbetrag», weil bei den 3,7 Milliarden Euro für dieses Jahr eine Sonderzahlung für Ukraine-Flüchtlinge enthalten sei, die man rausrechnen müsse.

Verringerung der Asylbewerberzahlen

Bund und Länder hielten fest, dass derzeit zu viele Menschen nach Deutschland flüchteten. «Klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung» seien daher nötig. So will die Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind. Asylverfahren sollen schneller abgewickelt werden als bisher, dafür setzen sich Bund und Länder neue Zielmarken. Insbesondere bei Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent soll das Asylverfahren in drei Monaten abgeschlossen sein. An den Kontrollen, die Deutschland derzeit an den Grenzen zur Schweiz, Tschechien, Polen und Österreich durchführt, will man festhalten. Asylbewerber in Deutschland sollen mindestens einen Teil ihrer Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen.

Leistungskürzungen für Asylbewerber

Wenn sich Verfahren hinziehen, sollen künftig nicht nur 18, sondern 36 Monate lang nur Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden. Aktuell haben Asylbewerber eineinhalb Jahre lang Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe. Dieser Schritt soll künftig später erfolgen, was im Effekt eine Kürzung der staatlichen Leistungen bedeutet.

Streit in der Ministerpräsidentenrunde über Zusatzforderungen

Vor Beginn des Treffens im Kanzleramt hatte es bei den Beratungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten Streit beim Migrationsthema gegeben. Die unionsgeführten Länder und das grünengeführte Baden-Württemberg überrumpelten die SPD-Seite mit einem Katalog von neuen Forderungen. Sie stellten sich unter anderem hinter einen Vorschlag von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Asylverfahren auch außerhalb von Europa zu ermöglichen. Dies will der Bund nun prüfen - ein Schritt, den SPD, Grüne und FDP ähnlich bereits im Koalitionsvertrag vereinbart hatten.

Die Beratungen zogen sich drei Stunden länger hin als ursprünglich geplant. Sie seien «nicht so wirklich erquicklich» gewesen, sagte anschließend ein genervt wirkender Weil.

Kommission zur besseren Steuerung vereinbart

Bund und Länder beschlossen, eine Kommission zur besseren Steuerung der Migration einzusetzen. Es soll ein breites gesellschaftliches Bündnis gegründet werden, das gemeinsam Lösungen zur Steuerung der Migration und zur Verbesserung der Integration mit dem Ziel der Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens erarbeiten soll. Daran könnten zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften, Wissenschaftler und auch Vertreter von Organisationen teilnehmen, die sich für die Belange von Asylbewerbern einsetzen, hieß es.

© dpa-infocom, dpa:231107-99-848555/7

Länder wollen Weiterführung des Deutschlandtickets 

Im Streit um die Zukunft des Deutschlandtickets haben sich die Länder zu einer Fortsetzung des Angebots bekannt, fordern aber vom Bund ein Signal zur weiteren gemeinsamen Finanzierung. Das Ticket sei ein Erfolgsmodell, und man wolle es weiterführen, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Boris Rhein (CDU) aus Hessen, am Montag nach Beratungen der Länder in Berlin. «Aber wirmüssen jetzt ein Zeichen setzen gegenüber den Verkehrsverbünden.»

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) erläuterte, dass nach Vorstellung der Länder - wenn der Bund mitmache - in diesem Jahr nicht verbrauchte Mittel übertragen werden könnten. Dies schaffe die Grundlage, dass das Ticket auch im nächsten Jahr weitergehen könne. «Ob und in welcher Form das Auswirkungen auf die Preisgestaltung haben wird, das müssen uns die Verkehrsminister sagen.» Am Abendwollten die Länder mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) darüber beraten.

Finanzierung Deutschlandticket

Das Deutschlandticket kann seit 1. Mai für Busse und Bahnen im Nahverkehr für 49 Euro im Monat genutzt werden - als digital buchbares, monatlich kündbares Abonnement in ganz Deutschland. Dabeigelten die 49 Euro ausdrücklich als «Einführungspreis».

Nach einer grundlegenden Verabredung von November 2022 schießen Bund und Länder 2023 und 2024 jeweils 1,5 Milliarden Euro zum Ausgleich von Einnahmeausfällen bei den Verkehrsunternehmen durch das günstige Ticket zu. Der Bund hat auch für 2025 bereits 1,5 Milliarden Euroreserviert. Wie für das Einführungsjahr 2023 vereinbart, hatten die Länder zuletzt aber auch für 2024 eine Zusage des Bundes gefordert, möglicherweise anfallende Mehrkosten zur Hälfte zu tragen.

Bund und Länder einigen sich auf Paket zur schnelleren Planung

Bund und Länder wollen mehr Tempo in Planungs- und Genehmigungsverfahren bringen, damit Windräder, Stromtrassen, Bahnstrecken und Wohnungen schneller gebaut werden können. Dafür einigten sich die Ministerpräsidenten und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montagabend in Berlin auf einen Beschleunigungspakt. Es gehe darum, «dass nicht noch ein Politiker sagt, alles soll schneller werden, sondern dass es tatsächlich passiert», sagte Scholz.

In den letzten Jahrzehnten hätten Bund und Länder «mit großer Liebe und Zuneigung» immer mehr Vorschriften erfunden. Diese sollten nun vereinfacht werden. Das Paket umfasse dazu an die 100 Einzelregelungen, unter anderem zu Autobahnen und Zugtrassen, zum Bau von Wohnungen, dem Ausbau von Dachgeschossen und das Aufstellen von Mobilfunkmasten. Weitere Vereinfachungen etwa im Gesundheitswesen und der Wasserstoffindustrie sollten folgen, kündigte Scholz an.

Der hessische Regierungschef Boris Rhein (CDU) betonte: «Ich freue mich sehr darüber, dass wir einig sind als Bund und Länder, und das ist im Föderalismus eben wichtig.» Unter anderem beim Thema Bauenwerde vieles erleichtert. Einmal erteilte Typengenehmigungen für serielles Bauen sollten etwa bundesweit gelten. Um- und Ausbau von Wohnungen werde nicht mehr an Auto-Stellplätzen scheitern. Ein Windrad könne ohne Genehmigung an der gleichen Stelle durch ein anderes ersetzt werden.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) betonte: «Wir sind in Deutschland zu kompliziert, deshalb dauert alles zu lange,  und das macht es am Ende natürlich noch zusätzlich teurer.» Jetzt solle vieles einfacher und damit auch billiger werden. Umweltverbände hatten die Bund-Länder-Pläne zuvor scharf kritisiert. Sie fürchten, es könne auf Kosten der Natur gehen, wenn Regelungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen und Artenschutz verändert werden.