Computerwelt trifft Barockschloss - Kraftwerk in Karlsruhe
Es war ein bisschen wie eine Zeitreise - in beide Richtungen. Einmal schien der Karlsruher Schlossplatz im Raumschiff an Satelliten vorbeizuschweben. Dann wieder waren die 70er Jahre unweigerlich gegenwärtig: Mit Klassikern wie «Autobahn», «Mensch-Maschine» und «Das Model» hat die legendäre Elektropop-Band Kraftwerk am Samstagabend das Publikum begeistert. Die bekannten Stücke waren auch jene Momente, in denen die Smartphones gezückt wurden, um frisch geweckte Erinnerungen festzuhalten.
Das Spektakel aus Musik- und Lichtkunst war in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes: Zum einen war es das einzige Konzert von Kraftwerk in diesem Jahr in Deutschland. Zum anderen fand es unter freiem Himmel vor dem Karlsruher Schloss statt. Als es dunkel genug war, strahlten 16 Hochleistungsbeamer die Fassade des Barockgebäudes an.
Vier Männer in leuchtenden Anzügen
Sie projizierten eine Multimedia-Show auf die 170 Meter breite Front. Mal pulsierende Ziffern in Neongrün, mal das grellgelbe Atomkraft-Symbol, mal die Fahrt über die Autobahn oder der Blick aus einem Raumschiff. Davor standen vier Männer auf dem Balkon an Pulten, in ebenfalls leuchtenden Anzügen. Dazu dröhnten Synthesizer-Beats und eine verzerrte Stimme über die kleine Parkanlage: «Am Heimcomputer sitz ich hier. Programmier die Zukunft mir.» Einem kurzen Schauer trotzten Zuschauerinnen und Zuschauer mit Regencapes und Schirmen.
Die 16.000 Tickets für das Konzert waren schnell ausverkauft. Hinzu kamen unzählige Zaungäste, die sich die Darbietung von Kraftwerk-Mitgründer Ralf Hütter und seinen Kollegen wenige Tage vor seinem 77. Geburtstag nicht entgehen lassen wollten. Manch einer im Publikum mag ein Fan der ersten Stunde gewesen sein.
Multimedia-Performance
Das Projekt Kraftwerk entstand 1970 im Umfeld der experimentellen Kunstszene in Düsseldorf. Die Band schrieb Musikgeschichte und war stilbildend für Richtungen wie Electro, Synthie Pop, Minimal und Techno. Von der ursprünglichen Besetzung ist nur noch Hütter dabei.
Den Auftritt am Samstag verdankten die Fans dem Anfang März gestorbenen langjährigen künstlerisch-wissenschaftlichen Vorstand des Zentrums für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM). Peter Weibel pflegte mit Hütter eine künstlerische wie freundschaftliche Verbundenheit.
Schon bei der Eröffnung des ZKM 1997 waren Kraftwerk zu Gast. Zuletzt traten sie zum 25-jährigen Jubiläum des ZKM 2014 in Karlsruhe auf. Und diesmal hätten die beiden Männer noch bis kurz vor Weibels Tod am Konzept für die Multimedia-Performance am Schloss gearbeitet, hatte das ZKM berichtet. Seinem «wunderbaren» Freund widmete Hütter dann am Ende auch die Performance, bevor er den Gästen gegen 23.30 Uhr eine gute Nacht wünschte. Der einzige Moment während der zwei Stunden, bei dem er abweichend von den eigentlichen Titeln zu hören war.
In Verbindung mit Karlsruhe taucht auch immer wieder ein Rechtsstreit zwischen Kraftwerk und Musikproduzent Moses Pelham auf. Es geht um eine zwei Sekunden lange Tonfolge aus dem Stück «Metall auf Metall» von 1977. Pelham legte sie 20 Jahre später leicht verlangsamt in Endlosschleife unter den Song «Nur mir» mit der Rapperin Sabrina Setlur. Im Juni befasste sich der Bundesgerichtshof zum wiederholten Male damit. In einem Monat will er seine Entscheidung verkünden.
Wer die Show am Samstagabend verpasst hat, kann zumindest Eindrücke davon während der Schlosslichtspiele bekommen. Vom 16. August bis 17. September wird das Barockschloss wieder allabendlich illuminiert. Dabei soll auch das sogenannte Projection Mapping des Kraftwerk-Konzertes als eigenständige Show im Programm zu sehen sein.
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