Bewährungsstrafe für Inspekteur der Polizei gefordert
Die Staatsanwaltschaft hat im Prozess gegen den Inspekteur der Polizei wegen sexueller Nötigung eine Freiheitsstrafe gefordert. Das am Freitag geforderte Strafmaß beträgt ein Jahr und drei Monate, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Landgericht mitteilte. Die Strafe könne zur Bewährung ausgesetzt werden. Zudem beantragte die Anklagebehörde eine Geldauflage in Höhe von 16.000 Euro. Der Betrag soll dem Verein Wildwasser Stuttgart, der sich für Opfer sexualisierter Gewalt einsetzt, und der gemeinnützigen GmbH PräventSozial zugutekommen, die sich für die Resozialisierung bereits straffällig gewordener Menschen engagiert. Die Freiheitsstrafe soll für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt werden.
Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass der Inspekteur die Anzeigenerstatterin sexuell genötigt habe, sagte der Sprecher. Im Falle einer Verurteilung hätte die Strafe auch Auswirkung auf das nach dem Strafprozess noch ausstehende Disziplinarverfahren gegen den ranghöchsten Polizisten des Landes. Beamte, die zu mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt werden, verlieren ihren Beamtenstatus. Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte bereits im Landtag öffentlich gesagt, dass er sich eine Rückkehr des Inspekteurs in sein Amt nur schwer vorstellen könne - unabhängig vom Ergebnis des Gerichtsprozesses.
Am Freitag wurden die Plädoyers in dem viel beachteten Verfahren gehalten - allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um die Persönlichkeitsrechte des mutmaßlichen Opfers zu wahren. Das Urteil soll am 14. Juli gesprochen werden. Der inzwischen vom Dienst freigestellte Inspekteur der Polizei soll die klagende, zur Tatzeit 32 Jahre alte Polizistin in einer Nacht im November 2021 vor einer Kneipe in Stuttgart sexuell genötigt haben. Er soll sie vor der Tür dazu gedrängt haben, seinen Penis anzufassen. Sie wollte zu dem Zeitpunkt eine Karriere im höheren Dienst, er wollte ihr beim Aufstieg helfen. Laut Staatsanwaltschaft wollte er seine Machtstellung ausnutzen und im Gegenzug für die Karrierehilfe die sexuelle Handlung einfordern.
Die Verteidigerin des Inspekteurs wollte am Freitag nicht mitteilten, auf was sie plädierte. Zu Journalisten sagte sie im Vorbeigehen: «Das können Sie sich denken.» Prozessbeobachter gehen davon aus, dass die Verteidigung auf Freispruch plädierte.
Der Nebenklage-Anwalt, der die Polizistin vertritt, sagte am Freitag, man habe «im Sinne der Anklage» plädiert, aber «sicher nicht auf Freispruch». Die materielle Wahrheit - also was wirklich geschehen sei, spiegele sich oft nicht in einem Urteil wieder, sagte der Anwalt. Man habe keine bestimmte Strafhöhe beantragt. Es sei nicht das Ziel, dass der Angeklagte «möglichst stark, möglichst heftig» bestraft werde. Die Vorwürfe der Anklage hätten sich aber im Prozess bestätigt. «Es gab nichts, was den Angeklagten entlastet hätte.» Der Nebenklage-Anwalt berichtete zudem, der Inspekteur habe sich während der Plädoyers «prozesstaktisch» verhalten. «Er hat geschwiegen - und er wusste warum.» Der Zustand seiner Mandantin habe sich nach ihrer Aussage im Prozess etwas verbessert, die Anspannung der Polizistin sei nun etwas geringer.
Am vorletzten Prozesstag warf die Nebenklage dem Inspekteur zudem «victim blaming» vor - also die Vertauschung von Täter- und Opfer-Rolle. Der Angeklagte habe sich durch eine Verkehrung der Rollen verteidigen lassen, heißt es in einer Erklärung, die der Nebenklage-Anwalt am Freitag am Landgericht unter Journalisten verteilte. Der Inspekteur sei nach dessen Darstellung das Opfer, die Nebenklägerin hingegen die Täterin, die «vorteilssuchende Karrieristin». «Die gezeigte Strategie des «victim blaming» ist weder originell, noch neu», schreibt die Nebenklage. Die Behauptung, die Polizistin habe aus beruflichem Vorteil Kontakt zu höhergestellten Männern gesucht, sei «schamlos». Zu Prozessbeginn hatte die Verteidigung des Inspekteurs eine Erklärung verteilt, in der der Inspekteur als Opfer dargestellt wird.
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