Besseres Angebot statt billiges Ticket
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Besseres Angebot statt billiges Ticket

30.08.2022

Es mangelt nicht an Vorschlägen zur Nachfolge des 9-Euro-Tickets. Für Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann ist statt dem Preis vielmehr ein attraktives Angebot wichtig. Was das Land bereits plant, darüber hat er mit Regine Albrecht im Interview gesprochen. Weitere Themen: Der Ausbau des Radnetzes, Tempolimit, rücksichtslose Radfahrer und ein Plädoyer für die Helmpflicht. Das komplette Gespräch hört Ihr hier:

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Was kommt nach dem 9-Euro-Ticket?

„Im Nachhinein würde ich sagen, in der Summe ist es ein interessanter Großversuch gewesen der uns wirklich motivieren sollte, im Sinne dieses Angebots weiter zu machen, [mit einem] guten Angebot zu guten Preisen“

Drei Monate lang für neun Euro im Monat durch ganz Deutschland fahren – das günstige Ticket war Teil eines Entlastungspakets des Bundes, jetzt läuft das Angebot aus. Bund und Länder diskutieren derzeit über eine Nachfolge. Das Hauptproblem sei, dass die Grundfinanzierung nicht stimme, so Hermann: „Es ist nicht so, dass die Länder sagen, wir geben gar nichts. Nur was manchmal übersehen wird: Das 9-Euro-Ticket war sehr teuer. Es hat 2,5 Milliarden mindestens in drei Monaten gekostet. Im Jahr wären das 10 Milliarden Subventionen. Das können die Länder unmöglich tragen“. Ganz so billig müsse das Ticket auch nicht sein – und vielmehr komme es ohnehin darauf an, den ÖPNV attraktiver zu machen und auszubauen: „Viele Länder haben gerade in ländlichen Räumen so wenige Angebote, dass die Leute gar nichts anfangen können mit einem Billig-Ticket“.

Check-in-Ticket, flexible Abos und Azubiangebot

Nicht nur die Taktung müsse erhöht und das Streckennetz verdichtet werden, mit den Öffentlichen zu fahren soll auch einfacher werden. Tarif-Wirrwarr sei „abschreckend“. In Baden-Württemberg soll daher ein Check-in-Ticket kommen. Die Idee dabei: über eine App auf dem Handy checkt man beim Einsteigen in Bus oder Bahn ein (denkbar sei auch eine Karte) und beim Aussteigen wieder aus – und bekommt automatisch den günstigsten Tarif berechnet. Ähnliche Systeme gibt es bereits in anderen europäischen Ländern. Ursprünglich sollte dies ab September starten, das verzögere sich aber noch etwas. Auch flexible Abomodelle für Leute, die z.B. phasenweise im Homeoffice arbeiten, hält Hermann für sinnvoll. Ab März nächsten Jahres komme außerdem ein landesweites 365-Euro-Ticket für Studierende und Auszubildende.

S-Bahn-Probleme in Stuttgart symptomatisch für Schienensystem

Wegen abgenutzter Räder mussten zahlreiche S-Bahnen zuletzt in die Werkstatt. Parallel zur Stammstreckensperrung bedeutete das zusätzliche Einschränkungen für zehntausende von Pendlern. Hermann betont, das Land sei nicht direkt für die S-Bahnen zuständig, d er Fall zeige aber auch: „Unser Schienensystem ist in die Jahre gekommen. Man hat über viele Jahre zu wenig investiert. Und das sind auch zum Teil die Schäden, die wir jetzt leider beklagen müssen und die dann das System stören. Und die schlechte Nachricht ist: Wir werden in den nächsten Jahren viele solcher Störungen haben“. Bis 2030 strebt der Minister eine Verdopplung der Fahrgastzahlen im ÖPNV in Baden-Württemberg an. Das erfordere ein gut funktionierendes, besseres System als jetzt, und das erreiche man nur durch viel Investition, Sanierung und Modernisierung.

Das „traurige Thema“ der Helmpflicht

Bis zu 80 Prozent der schweren Kopfverletzungen bei Fahrradunfällen können durch einen Helm vermieden werden, so eine Studie der HFC Human-Factors-Consult GmbH im Auftrag u.a. des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg. In anderen europäischen Ländern gilt eine Helmpflicht, zumindest für Kinder und Jugendliche. In Deutschland nicht. Für Hermann ein trauriges Thema. Er spreche sich eindeutig dafür aus, sei in der Vergangenheit aber immer wieder mit dem Versuch einer Durchsetzung gescheitert:

„Es fängt schon an, dass in der eigenen grünen Partei und Fraktion und beim VCD oder ADFC*, wo man denkt, man kriegt Unterstützung, alle sagen: Nein, um Gottes Willen, das gefährdet sozusagen den Zuwachs beim Radfahren, dann fahren die Leute nicht mehr.“

*Verkehrsclub Deutschland und Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club.

Die Zahl schweren Unfälle hätte durch Pedelecs (umgangssprachlich meist E-Bike genannt) zugenommen und jeder, der gegen eine Helmpflicht sei, müsse einmal in einen OP-Raum, in dem entsprechende Kopfverletzungen behandelt werden.

Aufholbedarf bei Radwegen

Der großteil der Radwege (etwa 80 Prozent) liegen in kommunaler Verantwortung. Was den Ausbau anbelangt, hätten einige Städte wie z.B. Reutlingen noch hohen Nachholbedarf, urteilt Hermann. Andere würden gute Fortschritte machen, wie Stuttgart – nicht immer sei hier die Wegführung jedoch ganz ideal. Als positive Beispiele nennt der Minister die Städte Freiburg, Tübingen, Karlsruhe, Offenburg und Mannheim. Das Land habe Fördermittel erhöht und zahle den Kommunen und Landkreisen zudem Koordinatoren, die bei der Planung unterstützen – das helfe ein gutes Stück. „Aber es braucht halt seine Zeit, bis vom Konzept auch eine Baumaßnahme erfolgt“. Letztlich seien auch die Radfahrerinnen und Radfahrer gefragt aktiv zu werden und sich bei ihrem Gemeinderat für Radwege einzusetzen.