Andreas Schell ist neuer Chef der EnBW
In turbulenten Zeiten tritt Andreas Schell am heutigen Dienstag sein Amt als Vorstandsvorsitzender beim Karlsruher Energieversorger EnBW an. Sein Vorgänger Frank Mastiaux hat den einstigen Atomstromer auf Erneuerbare-Energien-Kurs gebracht. Nun soll das Kernkraftwerk Neckarwestheim II länger laufen als geplant, und ein Bundeswirtschaftsminister von den Grünen lässt in großem Stil fossile Energien kaufen. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur kurz vor Beginn seines neuen Jobs gibt sich Schell aber zuversichtlich.
Sie übernehmen mitten in einer Energiekrise die Leitung eines Energiekonzerns. Bereuen Sie die Entscheidung schon?
Im Gegenteil. Ich gehe die Aufgabe mit einer gesunden Portion Respekt, aber auch mit viel Optimismus und Begeisterung an. Ich bin mir völlig klar darüber, dass sich seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine die Rahmenbedingungen gerade in der Energiebranche und damit auch die Prioritäten massiv verändert haben. Ich sehe das einerseits als zusätzliche Herausforderung. Andererseits bietet uns gerade die Krise auch die Möglichkeit, notwendige Veränderungen schneller herbeizuführen. So wie derzeit war der Energiemarkt noch nie im Fokus der Öffentlichkeit.
Können Sie, was diese Veränderungsprozesse angeht, aus den Erfahrungen aus Ihrer früheren Branche profitieren?
Mit Sicherheit. Seit vielen Jahren liegt mein Fokus darauf, Transformationsprozesse erfolgreich zu gestalten, wie sie gerade auch die Energiewirtschaft durchläuft. Darüber hinaus beschäftige ich mich seit meiner Jugend und über alle beruflichen Stationen hinweg mit Energiefragen. Ich habe im elterlichen Elektrobetrieb mitgearbeitet, Maschinenbau studiert mit der Studienrichtung Energietechnik/Energiesysteme und bei unterschiedlichen Arbeitgebern Themen wie der Brennstoffzelle, Elektrofahrzeuge oder Energieversorgung für Flugzeuge bearbeitet.
Apropos Branche! Wir haben ein Hin und Her bei der Gasumlage und der Laufzeit der Atomkraftwerke erlebt. Haben Sie den Eindruck, das Thema Energie ist in der Politik gerade jetzt in guten Händen?
Für die Phase, durch die wir gerade gehen, hat doch niemand eine Blaupause. Da müssen viele Entscheidungen getroffen werden, für die es überhaupt kein Vorbild gibt. Und wenn ich mir anschaue, wie wir in Deutschland derzeit aufgestellt sind: Die Gasspeicher sind gefüllt, alternative Quellen wie LNG werden etabliert. Viele Dinge, die vor ein paar Monaten noch kritisch hinterfragt wurden, sind jetzt vorbereitet. Da würde ich schon sagen, dass die Bundesregierung, aber auch die Energieversorgungsunternehmen im weiteren Sinne gute Arbeit geleistet haben.
Haben Sie denn Wünsche mit Blick auf die Zukunft, was kommen muss oder was sich noch ändern muss?
Ja, zum Beispiel: Wie kann es uns gelingen, den Ausbau der Erneuerbaren zu forcieren? Wir reden sehr oft über Bürokratie bei der Umsetzung. Wie können wir solche Prozesse beschleunigen? Die Ziele für 2030 sind hinreichend bekannt. Wir müssen jetzt agieren, damit wir diese Ziele erreichen. Das gilt nicht nur für die Erzeugung, sondern gleichermaßen für den Netzausbau. Wir produzieren zum Beispiel Windenergie offshore im Norden Deutschlands und verbrauchen sie hier im Süden, in Baden-Württemberg. Deswegen müssen wir sie hierher transportieren.
Inwiefern bremst denn der Krieg mit all seinen Folgen die Energiewende?
Ich denke nicht, dass der Krieg in der Ukraine das abbremst. Es gibt derzeit eine kurzfristige Verschiebung der Prioritäten mit Blick auf den Winter. Das ist jetzt die sichere Versorgung der Bevölkerung mit Energie. Da muss der Fokus darauf liegen, das schulden wir unseren Bürgerinnen und Bürger als Energieversorger. Dazu gehört auch, Energie für unsere Kundinnen und Kunden bezahlbar zu halten. Das darf uns aber nicht davon abbringen, den Umbau der Energiebranche weiter voranzutreiben.
Weil Sie gerade die Bezahlbarkeit ansprachen: Sehen Sie als Unternehmen Möglichkeiten, besonders belasteten Menschen entgegenzukommen - oder ist das rein Aufgabe der Politik?
Deutschland befindet sich aufgrund der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine in einer der herausforderndsten Energiemarktsituationen der Geschichte. Die EnBW tut alles, um die Kostensteigerungen für ihre Kundinnen und Kunden abzumildern. Trotz all dem: Bei einer derartigen Steigerung der Beschaffungskosten und gleichzeitig höheren Netzentgelten ist auch die EnBW gezwungen, ihre Preise anzupassen. Wir sind uns bewusst, dass dies für viele Haushalte eine deutliche Mehrbelastung bedeutet. Deshalb haben wir Maßnahmen wie die Gassparprämie, aber auch das Aussetzen von neuen Gas- und Stromsperren in der kommenden Heizperiode beschlossen. Oberstes Gebot ist aber nach wie vor: Energiesparen.
Gehen Sie davon aus, dass Neckarwestheim II am 16. April vom Netz geht und nie wieder hochgefahren wird?
Es gilt ganz klar das Primat der Politik. Die Bundesregierung hat uns gebeten, Neckarwestheim II zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit bis Mitte April weiter am Netz zu lassen. Unsere Aufgabe ist es nun, den sicheren Betrieb der Anlagen zu gewährleisten und den Strom zu produzieren, wie wir das verabredet haben. Auf die Aufgaben sind wir eingestellt. Wir stehen zum Ausstieg aus der Kernenergie, daran halten wir auch weiterhin fest.
Das Thema Bürokratieabbau hat ihr Vorgänger auch immer wieder angesprochen. Haben Sie das Gefühl, da tut sich wirklich was?
Mein persönlicher Eindruck ist, dass das verstanden ist und dass es jetzt eher darum geht, wie man das dann auch umsetzen kann. Da müssen wir alle an einen Tisch und überlegen, was die Dinge sind, die das Ganze verzögern. Was braucht es, um diese Prozesse zu verbessern?
Wie viel Zeit gibt es denn aus Ihrer Sicht noch, um sich an Tische zu setzen und darüber zu sprechen?
Das ist ein fortlaufender Prozess. Und Dialog ist ein Thema, was mir sehr am Herzen liegt. Warum gibt es Widerspruch? Weil irgendwo an irgendeiner Stelle jemand aus häufig verständlichen Gründen ein Thema hat. Und deswegen muss man die Fakten auf den Tisch legen und die Gesprächspartner zusammenbringen.
Meinen Sie auf politischer und wirtschaftlicher Ebene oder meinen Sie auch Bürgerinitiativen gegen Windkrafträder?
Das schließt für mich alle Interessensgruppen mit ein. Akzeptanz in der Bevölkerung ist wichtig. Und wenn das bedeutet, dass ich persönlich mich irgendwo auch einmal zeigen und die Argumente darstellen muss, warum A oder B notwendig sind, dann bin ich bereit dazu.
Zur Person
Andreas Schell hat international als Manager Erfahrung gesammelt. Die Karriere führte den 53-Jährigen durch die Luftfahrt- und Automobilbranche. Zuletzt war er seit 2017 Chef von Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen am Bodensee. Schell ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist leidenschaftlicher Triathlet. Er stehe gerne früh auf, um etwa eine Runde laufenzugehen und dann motiviert in den Tag zu starten. Auch für eine Wanderung in den Alpen und gute Konzerte ist Schell zu haben. Am Wochenende probiert er sich schon mal mit dem Kochbuch von Tim Mälzer in der Küche aus. Eine seiner Leibspeisen - Linsen mit Spätzle - kriege seine Frau aber besser hin.
Bild: EnBW / Fotografin: Catrin Moritz