Anklage gegen Trump stellt US-Demokratie auf die Probe
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump muss sich wegen beispielloser Vorwürfe der versuchten Wahlbeeinflussung und der Attacke seiner Anhänger auf das US-Kapitol vor Gericht verantworten.
Die bisher schwersten Vorwürfe der Justiz gegen den 77-jährigen Präsidentschaftsbewerber dürften die politisch tief gespaltenen USA 15 Monate vor der Wahl 2024 auf eine harte Probe stellen. In der 45-seitigen Anklageschrift von Sonderermittler Jack Smith vom Dienstag werden Trump vier formale Anklagepunkte zur Last gelegt, darunter Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten. Am Donnerstag soll Trump vor dem Gericht in Washington erscheinen - womöglich könnte er zugeschaltet werden.
Eine Verurteilung würde Trump Experten zufolge rechtlich nicht davon abhalten, bei der Wahl kommendes Jahr anzutreten - zumal fraglich ist, ob es so schnell überhaupt zu einem rechtskräftigen Urteil kommt. Es ist die zweite Anklage auf Bundesebene gegen Trump und die insgesamt dritte gegen den Ex-Präsidenten wegen einer Straftat. Nun geht es erstmals um mutmaßliche Straftaten während seiner Amtszeit im Weißen Haus. Im Falle einer Verurteilung droht Trump eine jahrzehntelange Haftstrafe.
«Beispielloser Angriff auf Demokratie»
Sonderermittler Smith sprach mit Bezug auf den Kapitol-Sturm von einem «beispiellosen Angriff auf den Sitz der amerikanischen Demokratie» - befeuert durch die Lügen des Beschuldigten. Er betonte, Ermittlungen gegen andere Personen in dem Fall gingen weiter. Trump wird nicht nur Verschwörung gegen den Staat vorgeworfen. Er wird auch beschuldigt, ein offizielles Verfahren behindert sowie versucht zu haben, Bürgern ihr Recht auf Wahlen zu entziehen.
Trump bedankte sich am Mittwoch auf der Plattform Truth Social bei seinen Anhängern. Er habe noch nie so viel Unterstützung erlebt, schrieb er. Diese Anklage habe «die Welt» auf die korrupten Zustände, die Schmach und das Scheitern der USA in den vergangenen drei Jahren aufmerksam gemacht. Amerika sei im Niedergang begriffen, aber er und seine Unterstützer würden das Land wieder großartig machen.
Trump in Umfragen zu Präsidentschaftskandidatur vorne
Trump streitet alle Vorwürfe ab und wertet jedes juristische Vorgehen gegen ihn als Versuch seiner Gegner, ihn von einem Wiedereinzug ins Weiße Haus abzuhalten. Im Feld der republikanischen Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur liegt er Umfragen zufolge mit großem Abstand vorne. Trumps Wahlkampfteam wetterte, die neue Anklage sei ein weiterer Versuch der Regierung von Präsident Joe Biden, in die Wahl 2024 einzugreifen. Dies erinnere an das Vorgehen in Nazi-Deutschland und in anderen autoritären Regimen.
Trump hatte die Präsidentenwahl 2020 gegen den Demokraten Biden verloren. Er gestand seine Niederlage aber nie ein, sondern verbreitet seitdem falsche Behauptungen, er sei durch massiven Wahlbetrug um einen Sieg gebracht worden. Trump und sein Umfeld versuchten damals auf diversen Wegen, das Ergebnis nachträglich noch zu kippen - unter anderem mit Klagen, aber auch mit politischem Druck auf Entscheidungsträger im Bund und in verschiedenen Bundesstaaten.
Der Feldzug gegen den Wahlausgang gipfelte schließlich am 6. Januar 2021 in einem beispiellosen Gewaltausbruch: An jenem Tag erstürmten Anhänger Trumps den Sitz des US-Kongresses, wo zu der Zeit Bidens Wahlsieg formal bestätigt werden sollte. Trump hatte seine Unterstützer in einer Rede kurz zuvor einmal mehr mit der Behauptung angestachelt, dass er durch massiven Wahlbetrug um einen Sieg gebracht worden sei. Ein gewalttätiger Mob drang daraufhin in den Kongress ein. Fünf Menschen starben im Zuge der Krawalle.
Trump habe «intensive Atmosphäre des Misstrauens» geschaffen
In der Anklageschrift wird Trump vorgeworfen, er habe trotz besseren Wissens falsche Behauptungen über die Wahl verbreitet und dafür auch Personen im Justizministerium instrumentalisiert. «Trotz seiner Niederlage war der Beschuldigte entschlossen, an der Macht zu bleiben», heißt es darin. Trump habe gewusst, dass seine Betrugsbehauptungen nicht wahr seien. Er «schaffte eine intensive landesweite Atmosphäre des Misstrauens und der Wut und untergrub das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Durchführung der Wahl».
Trump habe wissentlich eine Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten angeführt. Dabei habe er sich mit sechs Komplizen zusammengetan, die in der Anklageschrift nicht namentlich erwähnt sind. Es handelt sich um vier Anwälte, einen Mitarbeiter der US-Justiz und einen politischen Berater.
Als Instrumente für die Verschwörung nennt die Anklageschrift falsche Behauptungen, die Aufstellung falscher Wahlleute, den Missbrauch staatlicher Stellen und die versuchte Instrumentalisierung von Vizepräsident Mike Pence. Dies habe auch zum Kapitol-Sturm geführt.
Trump hatte Pence, der die Kongresssitzung am 6. Januar 2021 in seiner Rolle als Vizepräsident leitete, damals offen aufgerufen, das Prozedere zur Bestätigung von Bidens Wahlsieg zu blockieren. Als Pence sich weigerte, hetzte Trump seine Anhänger gegen seinen Stellvertreter auf. Der Mob johlte an jenem Tag Rufe wie «Hängt Pence». In der Anklageschrift wird auch aus persönlichen Unterhaltungen zwischen Trump und Pence zitiert - unter anderem unter Berufung auf damalige Notizen von Pence. In einem der Gespräche sagte Trump demnach zu seinem Vize: «Du bist zu ehrlich.»
Unterschiedliche Kommentare auf Anklage Trumps
In den politisch tief gespaltenen USA rief die Anklage Trumps unterschiedliche Kommentare hervor - seine Verbündeten verteidigten ihn dabei wie gewohnt kompromisslos. Viele Amerikaner sehen Trump als Opfer, das nur sein Recht aufs Hinterfragen des Wahlausgangs ausgeübt habe. Pence, der sich ebenfalls für die republikanische Präsidentschaftskandidatur bewirbt, teilte dagegen scharf gegen seinen ehemaligen Chef aus: «Die heutige Anklage ist eine wichtige Erinnerung: Wer sich über die Verfassung stellt, sollte niemals Präsident der Vereinigten Staaten sein.»
Sollte Trump die Anklage unbeschadet überstehen, könnten Radikale das als Freibrief für künftig Wahlen verstehen. Sollte Trump verurteilt werden, dürfte das wiederum enorme gesellschaftliche Verwerfungen in einem ohnehin politisch tief gespaltenen Land auslösen. Eine Entscheidung darüber ist aber weit entfernt. Trumps Anwälte dürften versuchen, das Verfahren möglichst lange hinauszuzögern. Ob es bis zur Präsidentenwahl Anfang November 2024 ein rechtskräftiges Urteil in diesem Fall geben wird, ist fraglich.
In den vergangenen Monaten war Trump bereits in zwei anderen Fällen im Zusammenhang mit Schweigegeldzahlungen und zurückgehaltenen Regierungsdokumenten angeklagt worden. Außerdem könnte ihm eine weitere Anklage im Bundesstaat Georgia wegen seiner Rolle nach der Wahl 2020 bevorstehen. Trumps Beliebtheit bei Konservativen taten die Anklagen bislang keinen Abbruch - im Gegenteil.
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